Statistik-Quatsch des Monats: Irreführende Renten-Tabellen
- Wolfgang Gründinger

- 11. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Sept.

Seit Jahren kursieren immer wieder diverse Tabellen in Zeitungen und in sozialen Medien, die das Rentenniveau in Deutschland mit anderen Ländern vergleichen. Die Aussage soll sein: Deutschland steht ganz unten da. Hier verarmen die Rentner, während sie in Kroatien in Saus und Braus leben. Doch das ist statistischer Quatsch.
Immer wieder sieht man Grafiken wie diese:

Einige Zahlen daraus werden dann auch gern in Grafiken gepackt und auf Facebook verbreitet, wie zum Beispiel diese hier:

Auf den ersten Blick sieht das Urteil eindeutig aus: Die Tabelle zeigt einen Vergleich der Renten der Industrienationen, wonach die Kroaten angeblich 129,2 Prozent ihres Nettoverdienstes als als Rente erhalten würden, die Niederlande noch 100,6 Prozent, die Österreicher 91,8 Prozent, und Deutschland magere 50,5 Prozent. Das wären 20 Prozentpunkte weniger als im EU-Durchschnitt. Das erweckte den Eindruck, dass sich die Deutschen dumm und dämlich schuften müssen, um am Ende nur eine dürftige Rente zu bekommen, während anderswo die Rentner in Saus und Braus leben würden. Das führt dann oft zum Hass auf die deutsche Politik und deren angebliches Totalversagen. Noch ärmer dran ist Großbritannien, wo die Rentner augenscheinlich mit kargen 29,0 Prozent ihr Dasein fristen müssen.
Zugrunde liegt die Studie "Pensions at a Glance" der OECD, also der Organisation der Industrieländer. Die Quelle ist also seriös. Die Studie erscheint regelmäßig, hier die Versionen für 2017 und 2023.
Wer aber die Studie liest und sich mit der Methodik beschäftigt, der stellt sehr schnell fest, dass der Eindruck des unsozialen Deutschlands und des üppigen Rentner-Daseins anderswo falsch ist. Die Tabelle, die auf Basis der OECD-Studie von der Nachrichtenagentur afp erstellt wurde und so ihren Weg in die Medien fand, ist aus mehreren Gründen irreführend:
Keine "Durchschnittswerte"
Die in der Presse verbreitete Grafik gab fälschlicherweise an, dass es sich bei diesen Zahlen um “Durchschnittswerte” handele. Im Gegenteil handelt es sich aber lediglich um Prognosen für einen Modell-Arbeitnehmer, der 1996 geboren ist, 2016 eine Arbeit aufnahm und das ganze Erwerbsleben lang genau den Durchschnittslohn verdient. Anders als die Tabelle glauben machte, handelt es sich also nicht um reale Werte für heute, sondern um modellhafte Berechnungen für eine ziemlich ferne Zukunft (in 45 Jahren).
Unterschiedliche Mindestwartezeiten
Die Rentensysteme der Länder unterscheiden sich stark, u.a. durch unterschiedliche Mindestwartezeiten, die man in die Rentenkasse einzahlen muss, um Anspruch auf eine Rente zu erhalten. Diese Mindestzeit liegt in Deutschland bei 5 Jahren, in Österreich (das in der Tabelle weiter oben steht) dagegen 15 Jahre. Daher muss die durchschnittliche Rente rein logisch höher ausfallen, weil viele Kleinrenten in Österreich ja gar nicht erst vorkommen. Reinhold Thiede von der Deutschen Rentenversicherung sagt: „Ein Teil der niedrigen Renten, die in Deutschland gezahlt werden, wird in Österreich gar nicht erst fällig."
Unvollständiger Vergleich
Die Tabelle berücksichtigte nur verpflichtende Renten. Für Länder, wo private oder betriebliche Vorsorge eine größere Rolle spielen, mussten die Werte daher zwangsläufig niedriger ausfallen – einzig und allein weil die Menschen dort anders vorsorgen als über staatliche Renten. Das wirkt erheblich verzerrend. Rechnet man freiwillige Vorsorge mit ein, springt das Niveau in Großbritannien von 29,0 auf 62,2 Prozent, in Deutschland von 50,5 auf 65,4 Prozent. In den Niederlanden bleibt es bei 100,6 Prozent, weil die Betriebsrente dort bereits als “quasi-verpflichtend” bereits mit eingerechnet war.
Anderes Rentenalter
Das Rentenalter wurde in Deutschland auf 65 Jahre veranschlagt. In den Niederlanden nahm die Studie ein Rentenalter von 71 Jahren an – denn dort ist der Renteneintritt an die Lebenserwartung gekoppelt. Das erklärt auch den sehr hohen Wert – wer länger arbeitet und kürzer Rente bezieht, der kann eben eine höhere Rente erwarten. Wer also anhand der Tabelle kritisiert, dass die Renten hierzulande angeblich so niedrig sind, sollte einfach ein höheres Rentenalter fordern - und schwupps, wird die Rente auch höher berechnet.
Höhere Beiträge
Die Tabelle zeigt nur die Renten, aber nicht die Beiträge. Irgendwer muss die Renten ja bezahlen. Wer also fordert: "Deutschland muss in der Tabelle ganz oben stehen!", hat eine einfache Lösung: Beiträge rauf. Das lässt jungen Familien dann aber weniger netto vom brutto. Ob man das will? Ein sinnvoller Vergleich der Rentensysteme würde auch die Beiträge berücksichtigen.
Kroatien als Sonderling
Woher kommt nun der so hohe Wert für Kroatien? Die Studie der OECD, auf der die Grafik oben beruht, beschäftigt sich mit Kroatien gar nicht. Dennoch steht der Wert aber seltsamerweise in der Tabelle, die in der Presse verbreitet wurde. Des Rätsels Lösung: Die Studie enthielt einen Link zu einer Tabelle, die auch Werte für Kroatien abbildete – allerdings mit einer ganz anderen Rechenmethode. Der korrekte Vergleichswert für Kroatien liegt demnach nicht bei sagenhaften 129,2 Prozent, sondern bei 58,0 Prozent.
Fazit: irreführend!
Man sieht: Hier würfelt man eine rein rechnerische Zahlenübersicht zusammen, und erweckt einen völlig falschen Eindruck, der mit der Realität wenig zu tun hat.
Vergleiche hierzu auch die Recherchen der ZEIT, die sich den Quatsch auch mal näher angeschaut hat.









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