Statistik-Quatsch des Monats: Die angebliche Mär vom reichen Land und eine missbrauchte Studie
- Wolfgang Gründinger

- 7. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Sept.

Diese Grafik taucht in sozialen Medien immer wieder in unterschiedlichen Varianten auf. Nach Meinung der Kommentatoren soll sie ausdrücken: Deutschland geht es schlecht! Jeder Deutsche hat im Schnitt nur 69.000 Euro, andere haben viel mehr! Aber was ist wirklich dran?
Das Schaubild basiert auf einer seriösen Quelle: dem Global Wealth Report, der jährlich von der Versicherungsgesellschaft Allianz herausgegeben wird. Dort finden sich die hier dargestellten Zahlen im Anhang, konkret in Appendix C: Global ranking 2023.
Wer sich aber die Mühe macht, die Methodik der Studie durchzulesen, dem wird schnell klar, dass die Zahlen nur begrenzte Aussagekraft besitzen. Das hat gleich mehrere Gründe:
Immobilien sind nicht mit eingerechnet
Die Statistik erfasst nur Geldvermögen - schon daher wird nicht das volle Vermögen erfasst. Immobilien werden nicht berücksichtigt, allerdings in einer gesonderten Auswertung ausgewiesen. Dort kommt Deutschland immerhin auf Platz 12. Spitzenreiter sind die Schweiz und Australien.
Gesetzliche Rentenanwartschaften werden nicht erfasst
Der Report enthält zwar auch Vermögenswerte durch private Altersvorsorge (Versicherungen und Pensionskapital). Diese zählen zum relevanten Geldvermögen und sind im Durchschnitts-Vermögen berücksichtigt. Gesetzliche Rentenanwartschaften werden aber nicht erfasst, obwohl sie vermögensähnliche Ansprüche begründen. Schon daher sind die Länderwerte nicht ohne weiteres vergleichbar, da in einigen Ländern die private Vorsorge eine höhere Rolle spielt. Das hohe Vermögen in den USA kommt beispielsweise auch durch die großen Pensionsfonds zustande. So kann es sein, dass ein Land in der Statistik vermögender wirkt, es aber gar nicht ist. In ihrem Vermögensbericht hat die Bundesbank auf diese methodische Verzerrung ausdrücklich hingewiesen.
Kaufkraftunterschiede sind nicht berücksichtigt
Jeder weiß es: Tausend Euro in der Schweiz bringen einen nicht weit, tausend Euro in Deutschland sind aber schon mal was. Diese sogenannten "Kaufkraftparitäten" (englisch: Purchasing Power Parity) wurden aber nicht berücksichtigt. So kann ein Land vermögender wirken, als es ist.
Werte sind pro Kopf - aussagekräftiger wäre der Median
Der Report berechnet die Vermögenswerte pro Kopf, also im arithmetischen Durchschnitt. Aussagekräftiger wäre aber der sogenannte Median-Schnitt. Warum?
Pro Kopf bedeutet: Das gesamte Vermögen wird durch die Zahl der Personen geteilt. Wenn z.B. in einer Gruppe von 10 Personen nur eine einzige ultrareiche Person das gesamte Vermögen (z.B. 1 Million Euro) besitzt, alle anderen neun aber besitzlose arme Schlucker sind (mit 0 Euro), haben die Menschen pro Kopf zwar 100.000 Euro, sie merken aber herzlich wenig davon.
Anders macht es der sogenannte Median: Er teilt die Bevölkerung in eine ärmere und eine reichere Hälfte, und misst, wie es der Mitte der Gesellschaft geht. Im Beispiel mit der extremen Ungleichverteilung in unserer Gruppe also: 0 Euro. Der Median gleicht Verzerrungen aus und ist daher der bessere Indikator, um tatsächlich die realen Vermögensverhältnisse darzustellen.
Also alles gut?
Nein - trotz der methodischen Probleme ist natürlich nicht einfach alles gut, à la "Es gibt hier nichts zu sehen, gehen Sie weiter". Sondern: Deutschland hat Defizite bei der privaten Vermögensbildung, was vor allem am fehlenden Engagement der Deutschen am Kapitalmarkt liegt. Wir brauchen mehr seriöse Finanzbildung, die einerseits die Angst vor dem Aktienmarkt nimmt, andererseits aber auch zu seriösen Strategien der Vermögensbildung etwa mit breiter Streuung in Indexfonds rät und über Risiken z.B. durch Klumpenrisiken aufklärt. Auch die Vermögensbildung durch Immobilien sollte mit in den Fokus gerückt werden.
Eines kann die Grafik aber aufgrund der Methodik gar nicht zeigen: um die angebliche "Mär vom reichen Land" zu belegen. Wer die Grafik so verwendet, beweist nur, dass er die Studie nie gelesen hat.








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