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  • AutorenbildWolfgang Gründinger

Grüner Kapitalismus: Was wir von Karl Marx und Steve Jobs lernen können




Der Saal war voller Fans, als Steve Jobs im Jahr 2007 das erste iPhone präsentierte. Wer weit und breit nicht zu sehen war, waren Vertreter der Öl- und Kohleindustrie. Warum sollten sie auch? Ein Mobiltelefon ohne Tastatur war wohl keine Gefahr für sie. Das glaubten sie zumindest.


In Wahrheit demonstriert das iPhone wie keine andere Erfindung, wie technologische Disruption funktioniert: wie ein neues Produkteinen Markt zerstört und schöpferisch neu aufbaut – und gleichzeitig tiefgreifend verändert, wie wir leben, denken und wirtschaften.


Vor einer solchen Disruption stehen wir jetzt erneut: dem Übergang vom fossilen zum grünen Kapitalismus.


Um zu verstehen, wie tiefgreifend dieser Übergang sein wird, muss man zwei Zahlen kennen: 50 und 0. 50: Das ist die Zahl der Gigatonnen an CO2-Äquivalent, die wir als Menschheit heute emittieren. 0: Das ist die Menge an CO2, die wir künftig noch ausstoßen dürfen, und zwar schon ab Mitte des Jahrhunderts. Das ist in nicht einmal dreißig Jahren.


Diese gewaltige Aufgabe schaffen wir nicht mit bloßen Appellen, nicht mit Verzichtsdiskursen, die nirgendwo hinführen. Sondern wir müssen zeigen, wie wir besser und schöner leben können – ohne Klimakrise und ohne Abhängigkeit von fossilen Autokratien. Menschen brauchen Praxisanleitungen dafür, was sie selbst in ihrem eigenen Leben konkret anders machen können, um es einfacher und bequemer zu haben, Freude zu haben, ihren Kontostand zu verbessern – und nebenbei „nachhaltig“ zu handeln. Die neue Alternative muss so gut und so überzeugend sein, dass wir sie ganz von selbst tun, selbst wenn es den Klimawandel gar nicht gäbe – ganz einfach, weil sie besser ist als das Alte.


Der fossile Kapitalismus hat uns mit all seiner Produktionskraft in die Krise geführt.


Ironischerweise ist es auch der Kapitalismus, der uns wieder aus der Krise herausführen kann – wenn wir ihn schleunigst begrünen.


Nichts hilft so gut wie der Kapitalismus, wenn es um die Umwälzung einer ganzen Wirtschaftsweise geht. Schon Karl Marx schwärmte im Kommunistischen Manifest seitenweise von den gewaltigen Produktivkräften des Kapitalismus, war fasziniert, dass er “ganz andere Wunderwerke als ägyptische Pyramiden” vollbringe. Freilich, meinte Marx, der Kapitalismus müsse letztlich an der von ihm produzierten sozialen Ungleichheit zerreißen. Aber besser als der bis dahin herrschende Feudalismus sei er allemal.


Klimaschutz ist ein Weltmarkt mit acht Milliarden Kunden. Investoren und Unternehmer werden diesen Markt nicht an sich vorbeiziehen lassen. Über 80% der weltweiten Energieinvestitionen fließen heute in Erneuerbare. Während Solarstrom heute um 90% billiger und Windstrom um 70% billiger ist als 2009, wurde Atomstrom um 33% teurer, hat die Investmentbank Lazard ausgerechnet. Eine grüne Revolution.


Die Frage „Wie viel Klimaschutz können wir uns leisten?“ ist daher grundfalsch. Im grünen Kapitalismus leben wir besser als bisher: mit neuen Technologien, weniger Kosten, und mehr Lebensqualität. Der grüne Kapitalismus wird die fossile Industrie abstreifen und Wohlstand für alle schaffen.


Die Technologien, die wir dafür brauchen, sind im Wesentlichen längst erfunden. Erneuerbare wie Solar und Wind, Ladesäulen, Batterien und Wärmepumpen sind längst da, und werden dank Massenfertigung und Lerneffekten immer besser und billiger. Wir müssen sie nur noch skalieren. Das wird nicht einfach – aber wir brauchen auch nicht auf die Wunderwaffe warten.


Mario Kohle, der Gründer des Greentech-Unicorns Enpal, bezeichnet sich gern als “Kapidealist”: eine Mischung aus Kapitalismus und Idealismus, die Marktwirtschaft, Technologie und Innovation verbindet mit der idealistischen Vision: eine Welt, in der wir saubere, günstige Energie für alle zugänglich machen.


Die Revolution auf den Dächern, in den Garagen und in den Heizungsräumen ist jetzt da. Wenige, zentralisierte Großkraftwerke, die rund um die Uhr mehr oder weniger die gleiche Menge Strom produzieren, machen Platz für Millionen dezentraler Kleinkraftwerke. Schon bald vernetzen virtuelle Kraftwerke Millionen Solaranlagen, Speichern, E-Autos und Wärmepumpen, und integrieren sie intelligent ins Netz.


Es ist wie mit dem fossilen Auto, das vor 120 Jahren die Kutsche ablöste, oder wie mit dem Smartphone vor nicht einmal 20 Jahren. Man kann jetzt mitmachen – oder zu spät hinterherkommen, wenn alle Nachbarn bereits ihre Solaranlage, ihre eigene Stromtankstelle und ihre eigene Wärmepumpe haben.


Wer einmal sein Auto mit dem eigenen Strom „betankt“ (also: geladen) hat, der entwickelt ein Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit. Er befreit sich von russischem oder saudischem Öl. Und er schützt dazu auch noch das Klima. Wer einmal ein Elektroauto hat und mit Solarstrom vom eigenen Dach unschlagbar günstig betankt, der möchte nie wieder etwas anderes. Diese Revolution hält niemand mehr auf.


Die fossile Industrie erlebt gerade ihren iPhone-Moment. Die Menschen nehmen ihre Energie in ihre eigenen Hände. Der Kapitalismus schafft sich ab – und ersteht grün wieder auf.


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