Wie teuer ist Atomkraft? Wie lange sind die Bauzeiten? Wie ist die Endlagerung des Mülls gelöst? Was ist mit neuen Reaktortypen? Welche Länder setzen auf Atomkraft? Was kann Atomkraft zum Klimaschutz beitragen? Dieser Artikel gibt die Antworten.
Die Klimakrise ist eine Menschheitsaufgabe. Alles, was CO2 vermeidet, muss daher als Option auf den Tisch. Daher ist auch Atomkraft neuerdings wieder diskutiert.
Was kostet Atomkraft?
„Warum soll man Milliarden Euro in eine Technologie investieren, bei der die Kilowattstunde Strom mindestens 10 Cent kostet, wenn es mit Windkraft schon für 4 Cent geht? Das leuchtet mir nicht ein", verwarf der damalige RWE-Chef Rolf Martin Schmitz im Jahr 2020 die Idee einer neuen AKW-Generation.
„Ich bin skeptisch, dass es gelingt, Kernkraftwerke wettbewerbsfähig zu betreiben. Das ist kein Sicherheitsthema, sondern ein ökonomisches. Viele Neubauinvestitionen laufen aus dem Ruder, die Stromentstehungskosten sind dann höher als heute", sagte der heutige RWE-Chef Markus Krebber im Jahr 2024. "Renaissance der Kernkraft? Großes Fragezeichen!"
"Es gibt weltweit kein Atomkraftwerk, das sich wirtschaftlich rechnet", sagte Siemens Energy-Aufsichtsratschef Joe Kaeser im Jahr 2024.
Ist Atomkraft so teuer? Schauen wir uns die Zahlen näher an. (Diese gelten für neue Atomkraftwerke, nicht für einen Weiterbetrieb bereits bestehender, abgeschriebener Atomkraftwerke.)
Neue Atomkraftwerke haben höhere Gestehungskosten als Solar und Wind, teils sogar deutlich höher. Die US-Investmentbank Lazard schätzt die Produktionskosten neuer Atomkraftwerke auf 131 bis 204 US-Dollar pro Megawattstunde (MWh).
Zum Vergleich: Windkraftanlagen kosten nur 26 bis 50 Dollar pro MWh, Solar-Freiflächenanlagen nur 28 bis 31 Dollar, und Solar-Dachanlagen 67 bis 221 Dollar. Im Unterschied zur Atomkraft handelt es sich hier um bereinigte Gestehungskosten, also ohne staatliche Subventionen.
Während Solarstrom heute um 90% billiger und Windstrom um 70% billiger ist als 2009, wurde Atomstrom um 33% teurer.
Quelle: Lazard. Grafik: World Nuclear Industry Status Report 2021
Für Deutschland hat das Fraunhofer Institut die Stromgestehungskosten errechnet, zuletzt 2024. Die Gestehungskosten von Solar & Wind hier - selbst mit Speicher - günstiger als Kohle und Atomkraft.
Quelle: Fraunhofer ISE
Zu beachten: Es handelt sich hierbei um die Gestehungskosten, nicht um vollständige Systemkosten, oder eine Betrachtung externer Kosten. Nicht berücksichtigt sind hier beispielsweise die Kosten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, staatliche Haftungsgarantien, Klimaschäden, oder aber auch Kosten für den Netzausbau.
Die Internationale Energie-Agentur (IEA) schreibt 2020: "In Europe, both onshore and offshore wind as well as utility scale solar installations are competitive to gas and nuclear energy." Die Kosten für Atomkraft liegen demnach in Europa bei 71 US-Dollar pro MWh, für große Solaranlagen nur bei 50 US-Dollar (jeweils Median-Durchschnitt).
Und der UN-Weltklimarat (IPCC) schreibt 2022: "Die Kosten für verschiedene Erneuerbaren Energien und Pkw-Batterien sind gefallen" - und zeigt diese eindrucksvolle Grafik:
Quelle: IPCC 2022
Auch im sonnenarmen Deutschland sind Solar und Wind längst billig. Dach-Solaranlagen produzieren in Deutschland zu Kosten von 5,81 bis 11,01 Euro-Cent pro Kilowattstunde (kWh), Freiflächen-Solaranlagen sogar zu nur 3,12 bis 5,7 Cent, so das Fraunhofer Institut. Wo es mehr Sonne gibt, ist Solarenergie unschlagbar: In Saudi-Arabien kostet sie 0,9 Cent pro kWh, in Portugal 1,2 Cent.
Atomkraft funktioniert nur da, wo der Staat als Geldgeber einspringt. Der AKW-Betreiber Vattenfall schreibt: "In allen Ländern, in denen Kernkraftwerke gebaut werden, werden die Risiken mit dem Staat geteilt, um die ansonsten hohen finanziellen Kosten zu reduzieren." Der französische staatliche Atomkonzern EDF steckt mit 45 Milliarden Euro tief in den Schulden, obwohl er von der Regierung hofiert wird. Die Modernisierung der maroden Atomkraftwerke soll nochmal 45 Milliarden kosten, für Rückbau und Entsorgung sind weitere 60 Milliarden veranschlagt. Der belgische Staat hat für die Laufzeitverlängerung zweier Atomkraftwerke einen Pauschalbetrag von 15 Milliarden Euro übernommen.
Hinzu kommen die Kosten für die Endlagerung des Atommülls und für die Versicherung gegen Unfälle, die beide wesentlich vom Staat bzw. der Allgemeinheit getragen werden.
Private Investoren lassen lieber die Finger von Atomkraft. Sie ist schlicht wirtschaftlich zu riskant. Atomkraft ist in den meisten Ländern schlichtweg ökonomisch ineffizient.
Eine Hoffnung besteht in der Serienproduktion von Kleinreaktoren, sogenannte Small Modular Reactors (SMR). Hierzu an späterer Stelle mehr.
Wie sind Atomkraftwerke versichert?
Die Versicherung von Atomkraftwerken ist in Deutschland gesetzlich durch das Atomgesetz gedeckelt. Schäden bis 250 Mio. Euro sind versichert, bei höheren Schäden springt der Betreiberpool ein, jedoch nur bis 2,5 Mrd. Euro.
Der Reaktorunfall in Fukushima 2011 hinterließ jedoch einen vielfach höheren Schaden, mit allein 95 Mrd. Euro an gerichtlich verfügten Schadensersatzzahlungen. Eine Studie der Versicherungsforen Leipzig im Auftrag des Lobbyverbands der Erneuerbaren-Branche schätzt die erforderliche Deckungssumme (also der maximale Betrag, den eine Versicherung im Schadenfall erstattet) auf bis zu 6 Billionen Euro.
Trotz mancher Kritik an der Studienmethodik erklärt Matthias Land vom Ausschuss Schadenversicherung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV): “Das Ergebnis ist valide. … Die Sicherheit eines Atomkraftwerks ist hingegen von verschiedenen Faktoren abhängig, also müsste eine entsprechende Schaden-Anleihe noch teurer sein. … Man wird keine Lösung finden, die Atomkraftwerke in vollem Kostenrahmen versicherbar macht.”
Am besten erklärt es Christian Lindner:
Verteuerte der Atomausstieg 2023 die Strompreise?
Die Strompreise 2023 sanken - trotz Atomausstiegs. In der Grafik, die in orange den täglichen Strompreis an der Börse zeigt, ist ein Einfluss nicht zu erkennen.
Wie lange dauert der Bau eines Atomkraftwerks?
Man stelle sich vor, wir wollten ein neues Atomkraftwerk in Deutschland bauen. Wie lange würde es dauern, bis das erste gebaut wäre?
Der Planungs- und Genehmigungsprozess eines Windrads dauert im Durchschnitt vier bis fünf Jahre, manchmal auch sechs. Olaf Scholz war im Wahlkampf 2021 daher sehr bemüht, zu versprechen, die bürokratischen Genehmigungsverfahren von sechs Jahren auf sechs Monate verkürzen zu wollen.
Ein Atomkraftwerk ist aber, nun ja, kein Windrad. Wie lange würde es dauern, bis der Bau beginnen kann? Sechs Jahre wie bei einem Windrad? Oder, weil es größer und umstrittener ist: doppelt so lange, also 12 Jahre? Oder dreimal so lange?
Wie lange würde dann der Bau dauern? Wohl kaum lediglich ein paar Wochen wie bei einem Windrad oder großen Solarpark. Eher: 10, 15, vielleicht 20 Jahre.
Welche Länder setzen auf Atomkraft?
Atomkraft ist weltweit auf dem Rückzug - selbst in Ländern, die traditionell auf Atomkraft setzen.
In globaler Betrachtung hat Atomkraft ihre besten Tage hinter sich: 1996 trug sie noch 17,5% zur weltweiten Stromerzeugung bei, im Jahr 2020 waren es nur noch 10,1%. Und der faktische Trend zeigt weiter nach unten. Auch wenn neue Kraftwerke gebaut werden: Ihr Anteil an der Stromerzeugung fällt, denn oft ersetzen sie nur alte Kraftwerke, und andere Energiequellen wachsen vielfach stärker.
Europäische Union
In der EU sind nur 2 Atomkraftwerke im Bau: Flamanville in Frakreich und ein weiteres AKW mit zwei Blöcken in Ungarn.
Ob Polen, Tschechien, Rumänien oder Bulgarien: Bisher gibt es nur Pläne und Absichtserklärungen, aber keine Baustelle. Alles steht bisher nur auf dem Papier - ohne Spatenstich. (Siehe auch diese Übersicht beim Handelsblatt und diese Übersicht bei der Gesellschaft für Reaktorsicherheit)
Quelle: WNISR 2022
Ungarn
Ungarn begann 2023 die ersten Vorarbeiten für den Bau eines neuen Atomkraftwerks mit zwei Blöcken, das 2032 fertig sein soll.
Nach Fertigstellung des AKW Mochovce in der Slowakei ist dies nun, neben der Ewig-Baustelle Flamanville in Frankreich (Inbetriebnahme 2024 geplant), der einzige AKW-Neubau in der EU. Mehr gibt es nicht. (Siehe Grafik mit Stand 2022)
Slowakei
Das slowakische AKW Mochovce hatte eine Bauzeit von 35 Jahren (!) und ging nach dem Flicken undichter Stellen 2023 in Betrieb. Es kostete 5,4 Mrd. Euro statt anfangs 2,8 Md. Euro.
Polen
Die polnische Regierung erklärte 2024, vor 2040 werde kein AKW in Betrieb gehen.
Frankreich
Frankreich setzt massiv auf Wind und Solar, und will 50 Offshore-Windfarmen bauen, die Windenergie an Land verdoppeln und die Solarenergie verzehnfachen.
Frankreich will zwar bis 2050 sechs Reaktoren neu bauen, weitere acht werden geprüft. Aber heute laufen in Frankreich 56 Atomkraftwerke. Die sind 2050 alle veraltet und schrottreif.
Tatsächlich im Bau ist nur Flamanville. Der Reaktor-Neubau in Flamanville begann 2007 und soll nun 2024 in Betrieb gehen - zwölf Jahre später als ursprünglich geplant. Zugleich vervierfachten sich die Kosten von 3,3 Milliarden auf 13,2 Milliarden Euro. Der französische BER...
Das sieht man am besten in den Unterlagen des französischen Atomkonzerns EdF selbst: Die französische Atomflotte nimmt ab, auch wenn man das Jahr 2022 ausblendet, als besonders viele Atomkraftwerke wegen mehrerer Probleme stillstanden. Frankreich steigt faktisch still und leise aus der Atomenergie aus. "France's struggle to deliver a second nuclear era", schlagzeilt daher die Financial Times.
Quelle: EdF
Schweden
Von den ursprünglich 12 AKWs in Schweden sind derzeit nur noch 6 in Betrieb. Nach Tumult um angebliche Ausbaupläne, die kurz nach ihrer Verkündung wieder verschwanden, erlaubte das schwedische Parlament 2023 den Ausbau der Atomkraft. Tatsächlich Bau ist derzeit kein AKW.
Finnland
Der neue Reaktor im finnischen Olkiluoto wird seit 2005 gebaut und nahm 2023 endlich den kommerziellen Betrieb auf - elf Jahre später als geplant. Die Kosten explodierten zugleich von drei auf zehn Milliarden Euro. Atomkraft ist ein Milliardengrab.
Aufgrund des russischen Angriffskriegs hat Finnland zudem den bereits begonnenen Neubau des am Standort Hanhikivi gestoppt, da es sich um einen russischen Kraftwerkstyp handelte.
Großbritannien
Der britische Reaktor Hinkley Point C sollte nach Baubeginn 2017 ursprünglich 2025 in Betrieb gehen, nun wird die Fertigstellung frühestens für 2029 erwartet. Die Baukosten explodierten von ursprünglich 16 Mrd. Pfund (nach Handelsblatt-Angaben) auf bis zu 47,9 Mrd. Pfund, wie die Financial Times berichtet. Die britische Regierung hat sich verpflichtet, den Strom über 35 Jahre zu einem Preis von 92,50 Pfund pro MWh abzunehmen - plus Inflationsausgleich. Das kommt den britischen Steuerzahler teuer zu stehen, denn zugleich werden Erneuerbare Energien günstiger. Der britische Rechnungshof kritisiert: „Die von der Regierung erzielte Vereinbarung für Hinkley Point C verpflichtet die Verbraucher zur Teilnahme an einem riskanten und teuren Projekt mit ungewissen strategischen und wirtschaftlichen Vorteilen."
China
China betreibt zwar 54 Atomkraftwerke und baut 19 neue. Aber selbst damit liefert Atom derzeit weniger als 5% der gesamten Stromproduktion, und die Regierung blieb deutlich hinter den selbst gesteckten Ausbauzielen zurück.
Stattdessen setzt China voll auf erneuerbare Energien: Wind und Solar lieferten dort 2020 mit ca. 9% der Stromproduktion fast doppelt so viel Energie wie Atom. Allein im Jahr 2020 baute China eine zusätzliche Leistung von 50 Gigawatt Solar und 72 Gigawatt Wind. Die Hälfte des gesamten weltweiten Zubaus erneuerbarer Energien fand 2020 in China statt.
USA
In den USA läuft es nicht besser. Dort ging im Jahr 2023 der erste neue Atomreaktor seit über 30
Jahren ans Netz. Ursprünglich sollte das Kraftwerk jedoch bereits 2017 in Betrieb gehen. Doch technische Probleme verlängerten die Bauzeit um mehr als sechs Jahre. Zugleich explodierten die Kosten von 14 Milliarden auf 30 Milliarden Dollar - mehr als eine Verdopplung. "Der Konstrukteur der Anlage ging an dem Bau pleite. Mehrere vergleichbare Kernkraftwerke, die in den USA etwa zur selben Zeit geplant wurden, wurden aus Kostengründen während der Bau- oder Planungsphase gestoppt."
In den USA stagniert die durch Atomkraft erzeugte Strommenge und soll nach Prognosen der nationalen Energiebehörde (Energy Information Administration - EIA) bis 2050 fallen.
Grafik: IEA
Prognose und Realität
Eine von der Lobbyagentur "Deekling Arndt Advisors" erstellte Präsentation für das Deutsche Atomforum von 2008 sollte Argumente liefern, warum Deutschland wieder in die Atomkraft einsteigen sollte. Eine Seite behauptete: "Kernenergie in Europa weiter im Aufwind". So sah die Argumentation aus (Screenshot):
Die Studie ist 2008 erschienen - daher Zeit, heute Bilanz zu ziehen über die Prognosen der Atomlobby. Im Rückblick zeigt sich: Keine einzige Ankündigung traf zu:
Italien würde angeblich wieder einsteigen - ist nicht erfolgt.
Großbritannien baue 10 neue AKW - nur 2 Reaktoren in Hinkley Point, deren Fertigstellung unklar ist.
Frankreich baue einen weiteren EPR-Reaktor - ist nicht erfolgt, der 2008 bereits im Bau befindliche EPR noch weit entfernt von der Fertigstellung.
Polen plane erstes AKW bis 2020 - ist nicht erfolgt.
Finnland plane weiteren Reaktorneubau - wurde begonnen, aber 2022 wieder abgebrochen und wird nicht fortgesetzt.
Schweden plane neue Kapazitäten - bisher kein Neubau.
Die Schweiz prüfe ein neues AKW - stattdessen hat die Schweiz den Ausstieg beschlossen.
Importiert Deutschland Atomstrom aus Frankreich?
Tatsächlich steigen die Stromimporte aus Nachbarländern - vor allem Dänemark, Frankreich und der Schweiz - derzeit deutlich an. Der Grund ist aber nur zum Teil die Abschaltung der letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland.
Vielmehr ist Stromhandel in einem europäischen Verbund gewollt, damit der Strom immer dort produziert wird, wo es am günstigsten ist. Erneuerbare und Atomkraft aus den nordischen Ländern und Frankreich sind günstiger als Kohle aus Deutschland.
Zwar verfügt Deutschland über ausreichend eigene Stromerzeugungskapazitäten und wäre nicht auf Importe angewiesen; die Kohlekraftwerke waren z.B. im Jahr 2023 nur zu 49% ausgelastet. Die günstigen Erneuerbaren im Ausland machen den Stromhandel jedoch billiger. Mit dem europaweiten Ausbau der Erneuerbaren und der größeren Verfügbarkeit von grenzüberschreitenden Leitungen wird der Stromhandel künftig noch weiter ansteigen.
Das wirtschaftsnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schreibt: “Die gestiegenen Stromimporte sind daher kein Grund zur Sorge. Stattdessen sollten wir das günstige Stromangebot aus den europäischen Partnerländern begrüßen und die nötigen Leitungskapazitäten weiter ausbauen.”
Die Stromimporte machten im Jahr 2023 netto rund 2,3% des deutschen Strombedarfs aus. Unsere Stromimporte stammten zu 49% aus Erneuerbaren. 24% kamen aus Atomstrom, 9% aus Kohle. Wir exportierten sogar mehr Kohlestrom, als wir importieren.
Interessant sind auch unsere Exporte: Deutschland exportiert keineswegs lediglich Solar- oder Windstrom bei Überangebot. Vielmehr machten Erneuerbare im Jahr 2023 nur 57% des Exports aus (was auch dem heimischen deutschen Strommix entspricht, der 2023 zu 56% aus Erneuerbaren bestand). Kohle machte 22% aus, und Atomstrom trug 2023 sogar ebenfalls noch 2% der Exporte bei - wir haben also selbst im Krisenwinter 2023 noch Atomstrom ins Ausland verkauft.
Die Stromhandelsbilanz mit Frankreich war dabei übrigens nahezu ausgeglichen.
Grafik: Agora Energiewende
2022 exportierte Deutschland noch mehr Strom, als es importierte - trotz Gaskrise. Auch das Saldo nach Frankreich war positiv. Ein wichtiger Grund: In Frankreich stand der halbe nukleare Kraftwerkspark still, da Sicherheitsprüfungen notwendig waren und längere Zeit beanspruchten als geplant, und da aufgrund niedriger Pegelstände im Sommer das Kühlwasser für die Atomkraftwerke fehlt. Auf einmal fehlten dadurch ungeplant enorme Kapazitäten: mehr als ein Fünftel des jährlichen Stromverbrauchs Frankreichs brach weg.
Das trieb nicht nur die Strompreise massiv in die Höhe, sondern Deutschland musste auch einspringen, um Stromausfälle in Frankreich abzuwenden. Frankreich importierte 2022 daher 4% seines Stroms.
Frankreich hat dabei ähnliche Großhandelspreise auf dem Strommarkt wie Deutschland: Der durchschnittliche Börsenstrompreis lag 2023 sogar leicht höher bei 96,86 Euro pro MWh.
Grafik: Energy Charts
Zum Vergleich zur Importabhängigkeit bei Strom sind hier die Netto-Importquoten konventioneller Brennstoffe aufgelistet (2022):
Steinkohle: 100%
Braunkohle: -2,1%
Uran: 100%
Mineralöl: 98,2%
Erdgas: 94,2%
Zum Vergleich: Strom: 2,3% (2023)
Wie zuverlässig ist Atomkraft?
Ein wesentlicher Vorteil der Atomkraft liegt darin, dass sie nicht volatil ist, d.h. unabhängig von Solareinstrahlung oder Winddargebot, konstant Strom liefern kann.
Gravierende Probleme treten jedoch auf, wenn wegen Sicherheitsmängeln oder Knappheit bei Kühlwasser in trockenen und heißen Sommern die Leistung nicht mehr verfügbar ist. In Frankreich lag daher beispielsweise im Sommer und Herbst 2022 ein Fünftel des nuklearen Kraftwerkparks still, was die Strompreise in Europa beeinflusste. Hier mussten dann Stromimporte aus Deutschland die Lücke füllen.
Grafik gefunden bei: Prof. Lion Hirth
Kann Atomkraft zum Klimaschutz beitragen?
Die meisten heutigen Atomkraftwerke sind bald schrottreif sind und müssen ersetzt werden, und der Bau neuer Atomkraftwerke läuft weltweit eher schleppend. Schon daher kann Atomkraft wenig zum Klimaschutz beitragen. Und muss es auch nicht: Denn es gibt genug Sonne und Wind.
Der UN-Weltklimarat (IPCC) untersuchte in seinem Report 2018 den Beitrag der Atomkraft für 90 verschiedene Pfade, um das 1,5°-Ziel einzuhalten. Das Ergebnis: "Nuclear power increases its share in most 1.5°C pathways with no or limited overshoot by 2050, but in some pathways both the absolute capacity and share of power from nuclear generators decrease."
In Zahlen: Im Median-Durchschnitt steigt der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung um 71% bis 2050 gegenüber 2020, im hohen Szenario um 497% (also eine Verfünffachung), im niedrigen Szenario sinkt er dagegen um 64%. Klimaschutz geht also auch ohne Atomkraft.
Zum Vergleich: Solar und Wind legen zugleich um 2631% zu (Median), im hohen Szenario sogar um 16.966%, im niedrigen Szenario um 523%.
Im neuen IPCC-Report 2022 stellt der UN-Weltklimarat fest: Wind und Sonne haben mehr Potenzial und sind günstiger als Atomkraft.
Quelle: IPCC 2022
Die Internationale Energie-Agentur (IEA) legte im World Energy Outlook 2021 ebenfalls ein Szenario für Null-Emissionen bis 2050 vor. Demnach müsste sich die weltweite Atom-Kapazität bis 2050 gegenüber 2020 verdoppeln. Der prozentual Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung bleibt aber nahezu konstant, weil der Strombedarf insgesamt steigt und andere Energien noch schneller wachsen: Der Atomstrom-Anteil steigt nur von 13% auf 16%, während Solarenergie von 1% auf 23% zulegt, Wind von 2% auf 24%.
Der World Energy Outlook 2022 rechnet ebenfalls vor, dass sich die absolut installierte Kapazität bis 2050 zwar in etwa verdoppeln müsste, aber der prozentuale Beitrag gleich bleibt (bei 10% der Stromerzeugung) oder sogar sinkt (auf 8%): "the NZE [Net-Zero-Emissions] scenario ... more than doubles nuclear power capacity by 2050. ... However, nuclear’s share of the electricity mix declines to 8% in 2050 due to very strong growth in electricity demand".
Die IEA kommt dabei nicht ohne Warnung aus: Im Jahr 2040 werden 40% der Atomkraftwerke in Gebieten mit gefährdeter Wasserversorgung stehen. Wegen fehlender Kühlung birgt das Risiken für die Betriebsfähigkeit der Anlagen. Schon jetzt muss Frankreich in heißen Sommern immer wieder Atomkraftwerke herunterfahren, weil das Wasser für die Kühlung knapp wird.
Wie wirkte sich nun der deutsche Atomausstieg im April 2023 aus? Die CO2-Emissionen der deutschen Stromerzeugung sanken sogar. Mai und Juni 2023 wiesen mit 331g bzw. 355g/kWh sogar weit unterdurchschnittliche historische Werte aus. Das lag an viel Wind und Sonne, Substitution von Kohle durch Importe von Wasserkraft v.a. aus der Schweiz und Windkraft v.a. aus Dänemark. Natürlich fließt hier auch die CO2-arme französische Atomkraft mit ein, allerdings hat Frankreich auch viel Erneuerbare Energie. Hätte die CO2-Bilanz ohne Atomausstieg noch besser ausgesehen? Sicherlich - aber nur marginal.
Atomkraft kann zwar durchaus einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dieser Beitrag ist aber eher bescheiden - wenn überhaupt.
Wie gefährlich ist Atomkraft?
Atomkraft ist im Allgemeinen relativ unschädlich. Gemeinsam mit Solar- und Windstrom zählt Atomkraft zu den am wenigsten tödlichen Energiequellen, vor allem im Vergleich zu Kohle mit etlichen Opfern infolge von Atemwegserkrankungen und anderen Gesundheitsschäden beim Abbau. Selbst wenn die Strahlenopfer infolge von Fukushima und Tschernobyl hier unterschätzt sein sollten, bleibt Atomkraft im Vergleich zu Fossilen immer noch weniger tödlich sein.
Allerdings besteht weiterhin das Risiko schwerer Reaktorunfälle. Ein Forschungsteam um Prof. Jos Lelieveld, Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie, hat das Risiko für einen sogenannten GAU ermittelt (“Größter Anzunehmender Unfall” nach der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse, International Nuclear Event Scale, kurz: INES). Demnach ist das Risiko für einen GAU bei allen derzeitigen Atomkraftwerken einmal pro alle 10 bis 20 Jahre. Bei einem solchen Unfall wäre das Gebiet um den Reaktor weitflächig radioaktiv kontaminiert.
Ob dieses Risiko verantwortbar ist, kann die Wissenschaft nicht bestimmen. Die Gesellschaft muss entscheiden, ob sie einen extrem hohen Schaden bei entsprechendem Eintrittsrisiko akzeptiert.
Neue Sicherheitskonzepte wie der European Pressurized Reactor (EPR) versprechen dabei mitunter mehr, als sie halten können. "Der EPR wurde als hochmoderner und derzeit bester Reaktor angekündigt, aber er entpuppte sich schon jetzt als äußerst störanfällig", sagt der Reaktorsicherheitsexperte Prof. Manfred Mertins von der TH Brandenburg.
Was sind neue Reaktortypen wie z.B. SMR?
Neue Reaktortypen (wie Kleinreaktoren in Modulbauweise, sogenannte “small modular reactors”, kurz: SMR) sind zwar nicht grundsätzlich neu, sondern bereits seit den 1950ern im Grundsatz bekannte Konzepte. Dennoch liegt hier Hoffnung für die Atomkraft, sollte tatsächlich eine Kostendegression bei zugleich hohen Sicherheitsstandards erreichbar sein. Inwieweit dies gelingt, ist noch nicht absehbar.
Die Technologie ist nicht marktreif.
Um allein auf die Leistung der heute bestehenden Atomkraftwerke zu kommen, wären tausende SMRs erforderlich.
Einzelne SMRs könnten zwar sicherer als bisherige AKWs sein, aber die Gesamtzahl erhöht das Risiko.
Bei gravierenden Unfällen könnte auch bei SMRs radioaktive Strahlung über das Anlagengelände hinaus entweichen.
Die Baukosten pro Gigawatt sind höher als bei bisherigen AWKS. Die höhere Kosteneffizienz bei SMRs ergibt sich bislang erst durch Serienproduktion in hoher Stückzahl. Die Serienproduktion erhöht aber wiederum das Risiko von Baufehlern, die dann bei allen Anlagen gleich wären.
“Vielfach handelt es sich um seit Jahrzehnten bekannte Überlegungen, die sich aus wirtschaftlichen oder sicherheitstechnischen Gründen nicht durchsetzen konnten. Bei anderen handelt es sich um Konzeptstudien, die bisher nie großtechnisch erprobt wurden und somit aus sicherheitstechnischer Sicht noch gar nicht bewertbar sind”, sagt Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.
Hinzu komme, so König: “Von den häufig ins Feld geführten kleinen Reaktoren müssten weltweit mehrere 1.000 bis 10.000 Reaktoren neu gebaut werden, nur um auf den Anteil der Energieerzeugung zu kommen, der heute von den weltweit 400 Reaktoren produziert wird. Das entspräche dann rund 10 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs – immer noch zu wenig, um einen spürbaren Akzent bei der CO2-Reduzierung zu setzen.”
Das von Bill Gates im US-Bundesstaat Wyoming unterstützte Reaktorprojekt von TerraPower verspätet sich jedenfalls erst einmal: Denn der einzige Lieferant für den Brennstoff ist russisch, und mit dem Krieg fiel Russland als Lieferant aus. Statt 2021 begann nun 2024 der Bau - allerdings nur für den nicht-nuklearen Teil. Denn für den Atomreaktor selbst gibt es noch gar keine Baugenehmigung. Das von NuScale im US-Bundesstaat Utah geplante und staatliche subventionierte SMR-Projekt wurde 2023 aus Kostengründen beendet. NuScale möchte nun in Rumänien, Kasachstan, Polen und der Ukraine nach Standorten suchen.
Der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, sagte 2024: Small Modular Reactors "werden bis mindestens 2030 keine tragfähige Option sein". Danach könne man sie jedoch zumindest "ins Auge fassen". Die IEA schreibt, kleinere Reaktoren "von der Stange" könnten dann die Bauzeit- und Kostenprobleme der Atomkraft mildern. Das wäre immerhin ein kleiner Beitrag zur Energieversorgung vor allem in Ländern, die Erfahrung mit Atomkraftwerksbauten haben, wie vor allem China.
Gibt es eine Lösung für den Atommüll?
Die Entsorgung des radioaktiven Abfalls ist bis heute ungelöst.
Das weltweit einzige Endlager ist derzeit in Finnland im Bau - und soll hunderttausende Jahre halten. Ob man das schafft, werden unsere Nachkommen feststellen müssen.
Das deutsche Endlager im niedersächsischen Asse hat jedenfalls den Test nicht bestanden ((in diesem Fall für schwach- und mittelradioaktive Abfälle). Asse hielt nur für wenige Jahrzehnte dicht. Jetzt muss der Atommüll aufwendig geborgen und neu entsorgt werden. Was natürlich Milliarden kostet.
Als Lösung wird oft die sogenannte Transmutation gepriesen: eine Technologie, die Plutonium und andere radioaktive Elemente “zerlegt” und die Halbwertzeit auf wenige hundert Jahre reduzieren könnte (statt 24.110 Jahre, der “normalen” Halbwertzeit von Plutonium-239). Ein Endlager müsste dann nicht mehr hunderttausende Jahre sicher sein, bis die lebensgefährliche Strahlung abgeklungen ist, sondern nur noch ein paar tausend Jahre. Das ist zwar auch schon lange (einmal von heute bis mindestens zu Christi Geburt), aber immerhin.
Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, spricht von einem “Wunderwerk der radioaktiven Abfallbeseitigung” - allerdings ist dies eher abfällig gemeint. Die Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe hat sich letztlich gegen die Technologie entschieden: zu teuer, erst in 40 bis 50 Jahren praktisch verfügbar, zu energieaufwendig, und selbst dann eher eine Linderung der Endlagerung als eine wirkliche Lösung.
Die Bundesgesellschaft für Endlagerung schreibt: “Die Technologien zur Umwandlung von sehr langlebigen Radionukliden in weniger langlebige funktionieren bisher nur im Labormaßstab. Bis aus einem wissenschaftlichen Experiment über einen Prototypen ein marktfähiges Konzept mit entsprechenden Anlagen werden könnte, vergehen noch Jahrzehnte. Die Tatsache, dass es weltweit keine signifikanten Investitionen in diese Technologie gibt, zeigt auch, wie der potentielle Erfolg eingeschätzt wird.”
Die Kosten der Endlagerung werden von der Endlagerkommission auf 170 Mrd. Euro veranschlagt. Die Kraftwerksbetreiber mussten jedoch nur 24 Mrd. Euro in den Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung einzahlen. Die Differenz von ca. 146 Mrd. Euro muss der Fonds über Anlagen auf dem Finanzmarkt erst noch erwirtschaften.
War der Atomausstieg 2023 ein Fehler?
Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland gingen - nach dem Streckbetrieb - im Frühjahr 2023 außer Betrieb. Über die Frage, ob eine Laufzeitverlängerung für die drei verbliebenen Atomkraftwerke im Jahr 2023 sinnvoll gewesen wäre, besteht bis heute eine heftige Debatte.
Vieles spricht dafür, dass es sinnvoll gewesen wäre, die drei AKWs länger zu betreiben. Bereits lange bestehende, abgeschriebene Kraftwerke können kostengünstigen und klimaschonenden Strom bereitstellen. Der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, bezeichnete die Abschaltung daher als "strategischen Fehler".
Allerdings machten praktische Hürden den Weiterbetrieb nicht ohne Weiteres machbar:
Beschaffung neuer Brennelemente: Die AKW-Betreiberin Preussen Elektra (eine E.on-Tochterfirma) teilte mit: Neue Brennstäbe zu beschaffen, um die AKWs länger am Netz zu lassen, würde über anderthalb Jahr dauern. E.on-Chef Leo Birnbaum schrieb: "Wir brauchen Brennstoff; ... bestehende Kerne zu Ende gefahren; Bestellung von Brennelementen dauert normalerweise 18 Monate plus". RWE-Chef Markus Krebber sagte: "Eine Beschaffung, Herstellung und atomrechtliche Freigabe zur Herstellung eines funktionsfähigen Reaktorkerns beträgt etwa 1,5- 2 Jahre."
Sicherheitsüberprüfungen: Ein wesentliches Problem waren die Sicherheitsüberprüfungen. Diese benötigen viele Monate Zeit und waren nur wegen des Ausstiegs ausgesetzt worden.
In einem gemeinsamen Protokoll eines Gesprächs mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von Anfang 2022 halten die Atomkonzerne E.on, RWE und EnBW fest: Eine Laufzeitverlängerung sei "nur sinnvoll, wenn entweder die Prüftiefe der grundlegenden Sicherheitsanalyse verringert würde und/oder auf weitere Nachrüstungsmaßnahmen (...) verzichtet würde."
Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, sagt hierzu: "Die Abfallmengen werden sich bei einem Streckbetrieb mit bereits genutzten Brennelementen nicht erhöhen. Aber es geht nicht nur um das Umstellen eines Schalters. Jede Laufzeitverlängerung, egal ob Streckbetrieb oder befristete Verlängerung, bringt weitere Herausforderungen mit sich. Im Atomgesetz sind zahlreiche sicherheitstechnische Aspekte formuliert, etwa die Periodischen Sicherheitsüberprüfungen, die zuletzt 2009 stattfanden, und nur wegen des nahenden Abschaltens 2019 nicht mehr erfolgen musste." (Tagesspiegel Background, 8.8.2022)
Ein TÜV-Gutachten bescheinigte den AKWs zwar, dass ein Weiterbetrieb sicher sei. Allerdings: Das Gutachten ist nur drei Seiten lang und war schon nach einer Woche fertig. Das für Reaktorsicherheit zuständige Bundesumweltministerium erklärte daher, "dass die TÜV-Stellungnahme und die Schlussfolgerungen daraus nicht im Einklang mit höchster Rechtsprechung, geltenden Vorschriften & Maßstäben der AKW-Sicherheit stehen".
Wolfram König kommentiert das TÜV-Gutachten: "Mich hat es erstaunt, dass ein Sachverständiger eine Bewertung trifft, die erst auf Grundlage z.B. der noch zu erbringenden Periodischen Sicherheitsüberprüfung und entsprechender Betreibernachweise möglich wäre. Sicherheitsgarantien für die Zukunft ohne entsprechende Nachweise abzugeben, ist mehr als mutig und entspricht auch nicht dem internationalen Standard nach dem Sicherheitsbewertungen im Atombereich vorgenommen werden."
Gesetzliche Hürden: Da das Atomgesetz geändert werden müssen, wäre entsprechend Zeit für die erforderlich Gesetzgebung einzuplanen gewesen. Der Atomkonzern RWE erklärte: "Die genehmigungsrechtlichen und technischen Hürden für eine Verlängerung wären allerdings sehr hoch."
Kosten: Eon-Chef Leo Birnbaum machte deutlich: "Wir hätten erhebliche finanziellen Aufwand zu erwarten/kompensieren". Die Betreiber hätten einen Weiterbetrieb nur gegen hohe Kompensation mitgetragen.
Der Ökonom Prof. Christian von Hirschhausen von der TU Berlin kommentierte laut Handelsblatt: Die Kosten einer Laufzeitverlängerung durch Genehmigungsverfahren, Personal und Sicherheitsüberprüfungen seien "völlig unrentabel". "Der Staat müsste Abnahmegarantien oder Mindestpreise für den Strom übernehmen", so das Handelsblatt: "Alle Risiken und Kosten lägen beim Staat."
Der Reaktorsicherheitsexperte Prof. Martin Mertins von der TH Brandenburg erklärte: Eine Laufzeitverlängerung sei "äußerst schwierig" und wäre mit einer "gewaltigen Kostensteigerung" verbunden.
Mit viel Aufwand hätte man die letzten drei AKWs weiter betreiben können. Dies wäre jedoch nur mit erheblichen Kompensationszahlungen an die Betreiber möglich gewesen. Außerdem wäre kein durchgängiger Betrieb möglich gewesen, sondern die AKWs hätten für die Wiederbeschaffung von Brennstäben und für Sicherheitsüberprüfungen abgeschaltet werden müssen, um sie dann wieder hochzufahren.
In anderen Ländern, wo noch mehrere Atomkraftwerke länger laufen, können durchaus längere Laufzeiten im Rahmen einer Güterabwägung sinnvoll sein. Das (zwar geringe, aber im Eintrittsfall potentiell verheerende) Risiko schwerer Unfälle steigt dann allerdings ebenso wie die Menge des Atommülls. Und auch die Kosten für Wartung und Inspektion steigen entsprechend.
Wie sinnvoll ist eine Wiederinbetriebnahme der abgeschalteten Atomkraftwerke?
Eine Wiederinbetriebnahme der bereits abgeschalteten Atomkraftwerke ist inzwischen kaum noch zu machen und teilweise technisch nicht mehr möglich.
Ende 2024 erklärte RWE-Chef Markus Krebber: „Wir sind hierzulande über den Punkt hinaus, an dem wir abgeschaltete Atomkraftwerke wieder zurück ans Netz bringen sollten.“ Eine Wiederinbetriebnahme sei zwar an sich möglich, aber "wenn man sich die Hürden und vor allem die Kosten dahinter anguckt, halte ich das doch für sehr unrealistisch". Die erforderlichen Gesetzesänderungen, die technische Wiederherstellung der Betriebsbereitschaft, die Periodischen Sicherheitsprüfungen und die Lieferung neuer Brennstäbe würde drei bis vier Jahre dauern. Außerdem, so der RWE-Chef, benötige man einen langfristigen Stromabnahmevertrag mit festen Preisen, da sich die Atomkraftwerke angesichts von immer mehr Wind- und Solaranlagen nicht mehr rechnen würden.
Steffen Kanitz, Vorstandsmitglied der RWE Power AG, sagte ebenfalls: Eine Wiederinbetriebnahme sei „technisch grundsätzlich möglich“, aber: „Ob das allerdings angesichts der hohen Kosten ökonomisch sinnvoll ist, ist mehr als fraglich.“
Der Chef der Eo.on-Tochterfirma Preussen Elektra, Guido Knott, sagte 2024: „Für uns gibt es als kein Zurück mehr: Das Thema Wiederinbetriebnahme ist für uns [...] definitiv vom Tisch.“
E.on-Finanzchefin Nadia Jakobi sagte, es gebe keinen wirtschaftlich sinnvollen Weg, die Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen.
Das von EnBW betriebene AKW Neckarwestheim ist seit Sommer 2024 so stark rückgebaut, dass eine Wiederinbetriebnahme technisch nicht mehr möglich ist.
Die Reaktoren sind inzwischen abgeschaltet. Der Großteil der Betriebsmannschaften der AKWs sind inzwischen anderswo eingesetzt. Anders als etwa bei Gaskraftwerken lassen sich diese Prozesse kaum rückgängig machen.
Macht Atomkraft unabhängig von Diktaturen?
Atomkraft hilft wenig bei der Unabhängigkeit von Russland.
Denn: Gas wird für Wärmeerzeugung und Industrie genutzt - und kaum für die Stromerzeugung. Das stellen auch die Atomkonzerne fest: Demnach könne Atomkraft "in einer Situation der Gasmangellage nur wenig Gas ersetzen."
Bei einer Laufzeitverlängerung über den Streckbetrieb hinaus müsste man sich erstmal nach neuen Lieferanten für die Brennstäbe umsehen, so der Atombetreiber Preussen Elektra: "In den letzten Betriebsjahren unserer Kraftwerke haben wir das für die Brennelemente benötigte Uran aus Kasachstan und Russland sowie in geringen Mengen aus Kanada bezogen."
Der halbstaatliche französische Atomkonzern EdF bezog noch Ende 2022 Uran aus Russland. Präsident Macron hatte Uran auf der Sanktionsliste verhindert, um die strauchelnde Atomindustrie zu verschonen.
Fast alle Atomnationen sind abhängig von Russland. Der russische staatliche Atomkonzern Rosatom errichtet 20 der 53 im Bau befindlichen Reaktoren weltweit.
Unabhängig von Russland dank Atomkraft wird man also nicht.
Atomkraft: Ein Beitrag zur Energieversorgung?
Neue Atomkraftwerke in Europa haben sich als sehr teuer herausgestellt, zumal mit sehr langen Bauzeiten. Die Endlagerung des Mülls ist ungelöst. Auch weltweit ist Atomkraft auf dem Rückzug. Selbst in traditionellen Atomnationen wie Frankreich sinkt der Stromanteil durch Kernenergie. Der Beitrag von Atomkraft zum Klimaschutz ist bis auf absehbare Zeit leider bescheiden.
Als Teil eines Energiemixes kann Atomkraft durchaus einen Beitrag leisten. Der Neubau von Atomkraftwerken in Deutschland erscheint allerdings nicht als beste Option. Der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, bringt es auf den Punkt: "Neue konventionelle Reaktorprojekte in Deutschland würde ich nicht oben auf die Prioritätenliste setzen. Sie würden sehr viel Zeit brauchen, und in Deutschland wäre der öffentliche Widerstand dagegen sehr stark."
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