Die deutsche Bürokratie treibt nicht nur so manchen zur Verzweiflung. Sondern sie sabotiert
auch Energiewende und Klimaschutz. Was tun?
Ich habe meinen Laptop angeschrien. Dabei wollte ich doch nur den Förderantrag des Landes Berlin für mein Balkon-Solarmodul ausfüllen. Dabei arbeite ich im Internet, war sogar jahrelang Mitarbeiter beim deutschen Digitalverband. Trotzdem verzweifelte ich, fühlte mich wie Asterix mit dem Passierschein A38. Warum ist das Formular so verwirrend? Will der Staat mich quälen?
Was wie eine Lappalie klingt, ist mehr als das. Die deutsche Leitz-Ordner-Kultur hält inzwischen das ganze Land auf.
Niemand sollte jemals wieder über die Wirtschaft schimpfen: Denn die möchte bei Energiewende und Klimaschutz oftmals gern vorangehen. Der wahre Bremser ist der Staat.
Das Heilige Römische Reich Deutscher Netzbetreiber
Wer heute eine Solaranlage betreiben will, braucht starke Nerven.
Bevor Sie Ihre Solaranlage ans Netz anschließen dürfen, müssen Sie Ihren Netzbetreiber um Erlaubnis fragen. Davon gibt es 900 in Deutschland – es ist wie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Netzbetreiber: Jeder macht seine eigenen Regeln und Formulare. Digital ist dabei wenig, automatisiert erst recht nicht.
Allein wir beim Energiewende-Unternehmen Enpal beschäftigen über 70 Menschen, die nichts anderes machen, als tagaus, tagein fleißig Netzanträge auszufüllen. Das kostet Zeit und Geld - und frustriert die Menschen, die ihre betriebsbereite Solaranlage auf dem Dach haben und nun noch wochenlang auf den Netzbetreiber warten müssen.
Feuer brennt überall anders
Der deutsche Föderalismus ist so mächtig, dass sogar das Feuer in jedem Bundesland anders brennt. Denn: Wie weit der Mindestabstand zum Nachbarhaus sein muss, damit eine Solaranlage dem Brandschutz genügt, regelt jedes Bundesland für sich. Je nach Bauordnung sind es dann 50 Zentimeter bis 1,25 Meter zum nächsten Dach.
Ein Kompromiss der Bauministerkonferenz sollte eigentlich Abhilfe schaffen. Doch wie und wann ein Bundesland den gemeinsamen Beschluss umsetzt, bleibt jedem selbst überlassen. Und so kocht weiter jedes Bundesland noch immer sein eigenes Süppchen.
Intelligente Stromzähler: Schlusslicht Deutschland
Die Energiewende der Zukunft braucht moderne Stromzähler der neuesten Generation. Diese sogenannten Smart Meter sind die technische Voraussetzung, um Solaranlagen, Speicher, E-Auto-Ladestationen und Wärmepumpen in den Strommarkt zu integrieren.
Aber: Seit über zehn Jahren kommt der Ausbau in Deutschland nicht voran, vor allem aufgrund bürokratischer Vorgaben.
Deutschland gehört heute zu den Schlusslichtern in Europa. Im Jahr 2021 hatten weniger als 0,4% der Haushalte einen solchen modernen Stromzähler. Zum Vergleich: In Dänemark, Schweden, Finnland und anderen EU-Staaten lag die Ausrollung bei knapp 100%.
Warten auf die Wärmepumpe
Bei einem weiteren Thema ist Deutschland hintendran: beim Einbau von Wärmepumpen. Fast überall in Europa heizen die Menschen mit Wärmepumpen. Nur in Deutschland hat die Gaslobby noch die alte Heizung durchgesetzt. Daher hat sich die Regierung nun vorgenommen, den deutschen Sonderweg zu beenden und den Ausbau der Wärmepumpe zu fördern.
Dumm nur: Die staatliche Förderung verwaltet das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kurz BAFA - kommt mit der Bearbeitung der Anträge nicht hinterher. Es dauert ein halbes Jahr, bis ein Antrag genehmigt ist. Wer sich eine Wärmepumpe einbaut, weiß so lange nicht, ob er eine Förderung bekommt. So klappt die Wärmewende jedenfalls nicht.
8 Jahre Genehmigungsdauer für ein Windrad
Noch im Wahlkampf 2021 versprach Olaf Scholz, man wolle die Genehmigungsdauer für Windräder von 6 Jahre auf 6 Monate verkürzen.
Leider dauert es inzwischen sogar noch länger: Die komplette Verfahrensdauer für den Bau neuer Windräder (von der ersten Vorplanung bis zur Inbetriebnahme) hat sich seit 2017 im Durchschnitt von 5,5 auf 8 Jahre verlängert.
15.000 Transporte für Windräder liegen still
Die Komponenten für Windräder, z.B. Rotorblätter, müssen über die Autobahn transportiert werden. Diese Transporte müssen genehmigt werden, da es sich um große Güter handelt, für die teilweise Autobahnen entsprechend freigehalten werden müssen.
15.000 Anträge für Windrad-Transporte liegen unbearbeitet bei der zuständigen Behörde, der Autobahn GmbH, die dem Bundesverkehrsministerium unterstellt ist.
Jetzt wird es wild, denn diese Behörde scheint ihre Arbeit eingestellt zu haben. Wolfram Axthelm vom Bundesverband Windenergie hat dazu eine Tirade geschrieben, bei der man nur den Kopf schüttelt:
“Die Autobahn GmbH ist eine anonym bleibende Behörde, die vergessen hat, von wem sie bezahlt wird und für wen sie arbeitet. Sachbearbeiter werden offenbar per Los den Anträgen zugewiesen. Telefone gibt es nicht. E-Mails bleiben unbeantwortet.
Sie ist ein besonders auffälliges Beispiel dafür, wie eine gesichtslose und damit auch verantwortungsscheue Bürokratie das Vertrauen in die staatliche Handlungsfähigkeit und die Demokratie an sich untergräbt. Ihre Entscheidungen werden, weil zunehmend unbegründet, als willkürlich wahrgenommen. Die gesteuerte Kontaktverweigerung entwürdigt den Antragsteller, der als Staatsbürger die Behörde durch seine Steuern bezahlt. Die inzwischen flächendeckend tendenziell begründungslose Ablehnung von Transportgenehmigungen löst Verzweiflung aus. All dies stoppt die Realisierung von Projekten, die bereits einen Zuschlag haben und sorgt für Stillstand in der Logistikkette.
Die Beispiele eines grenzenlosen Versagens sind vielfältig: Brandenburg hält das Baustelleninformationssystem des Bundes für zu aufwändig und pflegt dieses nicht. Folge: Die Abfrage der Baustellensituation ist für die antragstellenden Transportunternehmen nicht mehr möglich. Damit ist eine geordnete Streckenerkundung obsolet. Die Niederlassung Ost arbeitet aktuell nicht. Die Niederlassung Nord produziert nur noch unbegründete Ablehnungen.”
So kann kein Windrad gebaut werden, wenn die zuständigen Behörden die Arbeit verweigern.
Deutschlandgeschwindigkeit oder Schneckentempo
Der Staat muss funktionieren und handlungsfähig sein. Es geht, wenn man nur will: Wenn ein Flüssiggas-Terminal in 6 Monaten errichtet werden kann, dann sollte diese „Deutschlandgeschwindigkeit“ (Bundeskanzler Olaf Scholz) auch für die solare Energiewende gelten. Heute herrscht dagegen eher Schneckentempo.
Da hilft nur: die Solarenergie endlich aus den Fesseln der Bürokratie befreien! Das Regel-Wirrwarr muss einfacher werden, und die Behörden brauchen einen Digital-Turbo. Wir brauchen eine Deutsche Digitale Aufholjagd.
Das würde nicht nur den Klimazielen nützen. Vielmehr würden die Menschen in Deutschland endlich zu Gestaltern ihrer eigenen Energiewende. Nichts ist so nervig, wie von Behörden gegängelt zu werden – und nichts so befreiend, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wenn alle beim Klimaschutz mitmachen sollen, dann muss Klimaschutz eben zum Mitmach-Projekt werden.
Die eigene Solaranlage ist eine Einstiegsdroge. Wer erst einmal anfängt, der will mehr: sein E-Auto, seine Wärmepumpe. Und er geht mit Strom ganz anders, bewusster um: zum Beispiel, indem er sein Auto dann lädt, wenn reichlich günstiger Sonnenstrom verfügbar ist. Oder indem er genau dann Strom aus seinem Speicher ins Netz einspeist, wenn er dort gerade knapp und daher profitabel ist.
Eine Bürokratiepause würde aber nicht nur die Energiewende voranbringen. Sie ist auch eine Chance, endlich die gesamte staatliche Verwaltung fit zu machen und das Regel-Sammelsurium zu entschlacken. So reparieren so auch das erodierende Vertrauen in die staatlichen Institutionen – und machen unser Land modern und zukunftsfähig.
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