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  • AutorenbildWolfgang Gründinger

Kann die Kernfusion uns retten?

Aktualisiert: 18. Aug. 2023



Sauber, sicher, unendlich: Die Kernfusion könnte alle unsere Energiesorgen lösen. Das Problem: Sie existiert noch nicht. Warum man skeptisch bleiben soll - und trotzdem die Hoffnung nicht aufgeben darf.


20 Jahre ist es her, als ich Alexander Bradshaw besuchte. Der sympathische Brite war Chefwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, und ich wollte mit ihm über Kernfusion sprechen. Er sagte sofort zu, und wenig später empfing er mich in seinem Büro am Forschungsreaktor in Garching bei München.


Seither hat sich in der Fusionsforschung viel bewegt, und doch ist so vieles gleich geblieben.


Kernfusion ist eine spannende Technologie. Anstatt Atomkerne zu spalten - wie in den Atomkraftwerken, wie wir sie kennen (und die daher präziser Atomkernspaltungskraftwerke heißen müssten) - werden bei der Fusion zwei Atomkerne miteinander verschmolzen. Dazu werden Deuterium und Tritium auf mehrere hundert Millionen Grad aufgeheizt. Die Kerne sind dann nicht mehr von ihrer Elektronenhülle umgeben, sondern die Hüllen sind aufgelöst und schwimmen als Plasma (ein geladenes Gas) frei um die Kerne herum. Ein elektromagnetisches Feld schließt das Plasma ein. Treffen zwei Atomkerne aufeinander, verschmelzen sie zu einem Helium-Atomkern.


Es gibt noch ein zweites Konzept: Statt Magneten setzen andere auf Laser. Die Laser-Fusion wird vor allem in den USA erforscht, aber auch in Europa wie beim deutschen Startup Marvel Fusion, finanziert u.a. durch Siemens und Trumpf. Dabei zerlegt ein Laser ein Wasserstoff-Pellet in Plasma, die Wasserstoffkerne im Pellet verschmelzen zu Helium. Die so entzündete Kernfusion setzt Energie frei.


Egal ob Magnet oder Laser: Nach erreichter Fusion ist der anschließende Prozess im Wesentlichen der gleiche wie bei allen fossil-atomaren Großkraftwerken: Es entsteht Wärme, mit der Wasser erhitzt und der Dampf durch Turbinen getrieben wird, die schließlich den gewünschten Strom erzeugen.


Fusionsvorgänge laufen unzählige Male täglich auf der Sonne ab. Die Kernfusion ist im Prinzip der Versuch, die Energieerzeugung der Sonne auf der Erde zu kopieren.


Sauber, sicher, unendlich


Kernfusion könnte der Menschheit eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle bieten. Deuterium lässt sich aus Wasser anreichern, und davon gibt es genug. Tritium ist zwar so selten, dass alle globalen Vorkommen zusammen nicht einmal für einen Reaktor reichen würden. Aber die Reaktoren können Tritium selbst aus Lithium herstellen, das wiederum ebenfalls aus Meerwasser extrahiert werden kann.


Ein zweiter entscheidender Unterschied zur Kernspaltung ist der Sicherheitsaspekt. Aufgrund des völlig anderen physikalischen Prinzips ist die Gefahr einer unbeherrschbaren Kettenreaktion technisch ausgeschlossen. Wenn es zu einer Störung kommt, kühlt das Plasma sofort ab und die Reaktion stoppt.


Fusion produziert nur schwach radioaktiven, kurzlebigen Atommüll. Im Unterschied zur Kernspaltung klingt er nach 100 Jahren ab, statt nach hunderttausenden Jahren. Zwar braucht man auch ein Entsorgungskonzept für die gewaltigen Mengen des schwach radioaktiven Mülls (allein ITER wird 30.000 Tonnen strahlenden Müll erzeugen), aber das Problem wirkt im Vergleich beherrschbar. Man braucht kein Endlager für die Ewigkeit.



Das Problem: Kernfusion existiert noch nicht


Das größte Problem der Kernfusion: Bisher ist sie über die Grundlagenforschung nicht hinausgekommen. Der erste Reaktor, der Strom ins Netz einspeisen soll, soll frühestens 2060 in Betrieb gehen - sofern alles im Zeitplan bleibt.


Bisher war die Zündung einer Fusion erst wenige Male überhaupt erfolgreich. Das neueste Fusionsfeuer zündete der Forschungsreaktor Joint European Torus (JET) im britischen Culham im Dezember 2021 - doch nach fünf Sekunden war es auch schon wieder erloschen.


Die nächste Etappe soll der Internationale Thermonukleare Experimental-Reaktor (ITER) einläuten, der derzeit im südfranzösischen Cadarache entsteht. Der Weg zu ITER war lang und zäh: Die Planungen begannen 1988, zehn Jahre später folgte der erste Bauplan. Doch die USA stiegen aus dem teuren Projekt aus. Daher wurde der ITER auf eine kleinere Version abgespeckt, und die USA kamen wieder an Bord. Der Bau begann 2007, und 2016 sollte ITER das erste Plasma erzeugen.


Doch immer wieder musste der Zeitplan korrigiert werden: “one year delay for each year of the project”. Inzwischen kann das erste Plasma frühestens 2025, eher 2026/27 erzeugt werden - zehn Jahre später als geplant. Die erste Fusion soll 2035 folgen.


Zugleich explodierten die Kosten: Fünf Milliarden Euro waren zu Baubeginn für das Projekt veranschlagt. 2016 war die Kostenschätzung bereits auf 16 Milliarden angeschwollen. Inklusive Betrieb sollte der ITER anfangs 10 Milliarden kosten; später wurde die Rechnung auf 22 Milliarden korrigiert. Seither hat sich der Bau jedoch weiter verzögert, und so dürften auch die Kosten nochmal deutlich anschwellen.


Der ITER soll dann Experimente durchlaufen und vor allem beweisen, dass Fusion tatsächlich (deutlich) mehr Energie gewinnen kann, als man von außen für die Aufheizung des Plasmas zuführen muss.


Wenn alles klappt, soll der sogenannte Demonstrationsreaktor (DEMO) folgen. Auch DEMO ist noch kein kommerzielles Kraftwerk, sondern ein Forschungsprojekt - und soll zeigen, dass ein Fusionsreaktor sein eigenes Tritium herstellen und wieder aufbereiten kann, und Erfahrungen für einen realen Kraftwerksbetrieb sammeln. Der Bau sollte ursprünglich 2024 beginnen, doch inzwischen geht man eher von 2040 aus.


Selbst wenn alles nach Plan verläuft, würde der erste wirtschaftliche Fusionsreaktor erst 2060 in Betrieb gehen, heißt es beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages. Selbst darauf ist kein Verlass.


So weit zur Magnet-Fusion.


Doch auch bei der Laser-Fusion ist man über das Labor nicht hinaus. In den USA soll 2022 bei einem Laborexperiment am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien mit Lasern erstmals mehr Energie erzeugt worden sein, als die Laserenergie betrug. 2,5 Megajoule wurden erzeugt, im Vergleich zu 2,1 Megajoule Laserenergie, so wird berichtet. Das ist eine winzige Menge und reicht gerade mal für die Kaffeemaschine. Ein großer Schritt für die Forschung - aber ein kleiner Schritt für eine marktreife Energiequelle.


Selbst die Fusionspyhsikerin Kimberly Budil, Direktorin des Lawrence Livermore National Laborator, sagte: Die Technologie werde erst "in einigen Jahrzehnten" für die breite Nutzung verfügbar sein. Und Constantin Häfner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik und ebenfalls entschiedener Befürworter der Kernfusion, meint: Vor 2045 ist auch mit Laserfusion nicht zu rechnen.


Für unsere heutige Energiesorgen kann uns Kernfusion nicht helfen, erst recht nicht zur Bekämpfung der Klimakrise. Denn um die globale Erhitzung einzudämmen, brauchen wir genau jetzt saubere Energie - und nicht erst mit gut Glück in 30 Jahren.


Teuer, zäh, und dann doch nicht ganz ungefährlich


Die Fusionsforschung hat zwar große Schritte gemacht. Aber die technischen Herausforderungen sind noch immer gewaltig.


Noch weiß niemand, wie teuer der Strom aus Kernfusion wird. Erste Kostenschätzungen gibt es zwar, wenngleich diese eher spekulativ sind.


Die Enquete-Kommission “Nachhaltige Energieversorgung” des Deutschen Bundestags schätzte bereits 2002 die mutmaßlichen Gestehungskosten auf 7,5 Cent in damaligen Preisen, was heute ca. 11 Cent entspricht - deutlich teurer als Windkraft und große Solaranlagen bereits heute sind. Die Kommission hielt damals die Stromgestehungskosten für so hoch, “dass alle heute bekannten Technologien im REG/REN-Bereich [also Erneuerbare Energien] im Jahr 2050 mindestens das gleiche, wahrscheinlich aber überwiegend ein niedrigeres Niveau erreicht haben werden” als die Kernfusion.


Weil die Kraftwerke sehr groß sein müssen, scheidet auch eine schnelle Lernkurve aus, die Technologie dank zahlreicher Iterationen und Massenproduktion rasch günstiger machen würde. Vielleicht wird der Fusionsstrom so teuer, dass ihn niemand haben will.


Abgesehen von technischen Problemen bleibt auch ein gewisses Risiko nuklearer Proliferation bestehen, also der Weitergabe radioaktiven Materials an Unrechtsregime oder terroristische Gruppen.


“Tritium ist von besonderer Bedeutung für die Weiterentwicklung der Kernwaffenarsenale, weil es in verschiedenen fortgeschrittenen Kernwaffendesigns eingesetzt wird. Es hat aber auch Bedeutung für die Weiterverbreitung von Kernwaffen. Tritium stellt daher ein wesentliches Proliferationsrisiko beim Betrieb von Fusionsreaktoren dar. Das Risiko der Erbrütung waffenfähiger spaltbarer Materialien ist jedoch insgesamt bei einem reinen Fusionsreaktor eher niedriger als bei einem Spaltreaktor”, schreibt ein Gutachten für den Deutschen Bundestag.


Ebenfalls erheblich ist der Wasserverbrauch eines Fusionsreaktors. ITER soll drei Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr verbrauchen - so viel wie eine Stadt mit 200.000 Einwohnern. Ob das auch in trockenen Sommern funktioniert, und ob die Restwärme des zurück geleiteten Wassers den Fluss empfindlich aufheizt, wird sich noch beweisen müssen.



Kann die Kernfusion uns retten?


Als ich damals im Garchinger Institut zu Gast war, sagte mir Alexander Bradshaw: “Irgendwann muss man entscheiden, ob man weitermachen will oder nicht.”


In den letzten Jahren gab es manche Fortschritte in der Forschung, aber wenig in der praktischen Umsetzung. Zwar gibt es neue, spannende Konzepte, wie die bereits erwähnte Laser-Fusion. Das könnte den technologischen Durchbruch beschleunigen. Aber selbst das würde bis zur kommerziellen Reife noch dauern.


Ich bin kein Gegner der Kernfusion. Ich finde sogar: Lasst uns sie weiter erforschen, mit staatlichem und privatem Kapital. Aber eine Lösung für die Energiesorgen der Menschheit bietet sie derzeit nicht.


Wenn die Kernfusion funktioniert, könnte sie mit Glück irgendwann ab dem Jahr 2050 überhaupt zu unserer Energieversorgung beitragen. Das ist zu spät. Wir müssen die Klimakrise jetzt aufhalten - und nicht erst in 30 Jahren.

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