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  • AutorenbildWolfgang Gründinger

Solarfabriken statt Pipelines: Europa braucht wieder eine heimische Solarindustrie




Deutschland war einmal Weltmarktführer in der Photovoltaik-Industrie. Dann lief China uns den Rang ab – und dominiert heute unangefochten den Weltmarkt für Solarzellen. Auch Europa braucht wieder eine heimische PV-Industrie.


Wer alt genug ist, blickt oft nostalgisch zurück: auf die Zeit, als deutsche Unternehmen wie Q-Cells, Solarworld oder Centrotherm zu den Weltmarktführern für Photovoltaik aufstiegen, und auch US-Solarfirmen wie FirstSolar in Deutschland ihre Fabriken errichteten. Die Nr. 1 auf dem Weltmarkt schien wie in Stein gemeißelt.


Dann betrat China die Bühne und lief Deutschland den Rang ab. Ab 2012 machte eine Fabrik nach der anderen zu. Fast die gesamte Solarindustrie wanderte nach China ab. Heute ist China der unangefochtene Weltmarktführer.


Ein paar Zahlen: Ganz Europa kommt lediglich auf eine Produktionskapazität von 1,7 GW für Solarwafer und -ingots und 9,4 GW für Module, wie die EU Solar Manufacturing Map zeigt. Allein die chinesische Firma LONGi hatte Ende 2022 eine Fertigungskapazität für 133 GW Wafer und 85 GW für Module - ein Zigfaches von ganz Europa.


Im Jahr 2021 kamen knapp 75% aller weltweit verbauten Solarmodule aus China, so die Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA). Bei den Solarzellen, aus denen die Module gefertigt werden, sind es über 85%. Und bei Wafern, wiederum das Vorprodukt zu den Zellen, sind es fast 97%.


China dominiert den Weltmarkt nicht nur. China ist der Weltmarkt.



Wertschöpfungskette für Photovoltaik

Wertschöpfungskette für Photovoltaik
Wertschöpfungskette für Photovoltaik

Quelle: IEA



Nachfrage und Produktion von Photovoltaik nach Region

Nachfrage und Produktion von Photovoltaik nach Region
Nachfrage und Produktion von Photovoltaik nach Region

Quelle: IEA



Vom Weltmarktführer zum Außenseiter


Die Gründe für den Abstieg Deutschland sind vielfältig. Einerseits kann China kostengünstiger produzieren: dank billiger Arbeit, billiger Energie, und gigantischer staatlicher Kreditgarantien.


Aber manche Probleme waren auch hausgemacht: Die Regierung Merkel kürzte 2012 die Einspeisevergütung für Solarstrom drastisch, sodass die heimische Industrie nicht schnell genug die Kosten reduzieren konnte – und dann von der Politik im Stich gelassen wurde.


Zugleich machten auch die Unternehmen selbst Managementfehler. Der gewichtigste war die fehlende vertikale Integration. Das heißt: Die Wertschöpfung warin Europa zerklüftet – und ist sie bis heute. Die einenproduzieren Polysilizium, die anderen fertigen daraus Wafer und Ingots, wiederum andere stellen die Zellen her, und am Ende fertigt jemand diese final zu Modulen. All das machen wir zu kleinteilig und nicht aufeinander abgestimmt.Chinesische Unternehmen haben dagegen alle Schritte unter einem Dach vereint - vom Rohstoff bis hin zum fertigen Modul. Das ergibt massive Effizienzgewinne und reduziert Marktunsicherheiten enorm.


Mit der Abwanderung nach China gingen 80.000 Arbeitsplätze in der heimischen Solarindustrie verloren. Die Politik schaute zu und ließ es geschehen.


Zwar ist die Solarindustrie nicht ganz verschwunden. Einige Hersteller konnten sich halten, so etwa Solarwatt. Die schweizerische Meyer Burger baut in Sachsen ein neues Werk für Solarzellen und -module, teils in der einstigen Solarworld-Fabrik. Allerdings: Auch diese Unternehmen beziehen viele Vorprodukte aus China. Und MeyerBurger verlegte 2023 einen Teil seiner neu geplanten Produktion in die USA.



Der Unterschied zu russischem Gas


Es gibt einen gravierenden strukturellen Unterschied zur Abhängigkeit von russischem, saudischen oder katarischem Gas und Öl: Fossile Energierohstoffe werden verbrannt und müssen daher laufend importiert werden.


Völlig anders dagegen Solarmodule: Sind die Solarmodule erst einmal in Deutschland auf den Dächern, produzieren sie 30 Jahre lang saubere Energie aus der Sonne – keine weiteren Importe nötig! Jede weitere Solaranlage, egal ob aus China oder anderswo, erhöht also unsere Unabhängigkeit und Souveränität.



Heimische Solarindustrie wiederaufbauen

Fragt man die deutschen Solarinstallateure, loben sie die Verlässlichkeit der chinesischen Partner. Am liebsten, so heißt es, würde man weiterhin aus China bestellen. Man kennt und vertraut den chinesischen Partnern, es gibt gute Qualität zu günstigen Preisen.


Aber es gibt Unwägbarkeiten. Fällt China als Lieferant einmal aus - egal ob aufgrund von Sanktionen, anderer politischer Handelsbeschränkungen, oder weil Fabriken oder Häfen wegen Covid-Lockdowns geschlossen werden - dann steht die Installation von Solaranlagen still. Und damit haben Firmen und Handwerker plötzlich keine Aufträge mehr.


Wer heute eine Solarproduktion plant, geht entweder nach Asien oder in die USA. Der amerikanische IRA ist einfach und gibt sehr viel Geld. Daher ist es momentan sehr attraktiv, in die USA zu gehen – so wie erst MeyerBurger in 2023. Der Net Zero Industry Act der EU dagegen ist kompliziert und bürokratisch. Da fällt die Entscheidung leicht.

Europa braucht wieder eine heimische Solarindustrie. Und zwar schon rein aufgrund Risikodiversifizierung, jenseits geopolitischer Überlegungen. Also nicht als politische Maßnahme „gegen“ China – sondern als rationale Diversifizierung der Lieferkette. Solarenergie ist ein gigantischer Zukunftsmarkt mit unfassbarem Wertschöpfungspotenzial, das Europa sich nicht entgehen lassen sollte. Zugleich würden hunderttausende gut bezahlte Jobs entstehen.

26 führende Unternehmen der europäischen Solarwirtschaft haben 2023 einen Appell an Robert Habeck gerichtet. Ihr Ansatz: Sie verweisen auf die Schwachstelle des amerikanischen IRA. Der setzt nämlich wenig – oder eher gar nicht – auf Technologieführerschaft, sondern nur auf Masse. Das könnte Europa besser machen – und damit nachhaltiger. Daher der Vorschlag: Die Förderung sollte gekoppelt werden an ein „TopRunner“-Programm nach chinesischem Vorbild. Unternehmen erhalten nur dann staatliche Unterstützung, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen, wie etwa die Erreichung niedriger Produktionskosten, besonders guter Effizienz oder hoher Umweltstandards. Dann verpufft die Förderung nicht, sondern belohnt die Besten.

Außerdem muss der Staat in Forschung und Entwicklung investieren. Das ist entscheidend, um langfristig global wettbewerbsfähig zu sein. Der amerikanische IRA blendet diesen Aspekt völlig aus. Umso wichtiger, dass Europa hier die Führung übernimmt.

Eine Fertigung in Europa kann sich nach dieser Anschubfinanzierung auch selbst wirtschaftlich tragen, so sagt die Unternehmensberatung McKinsey. Sobald nennenswerte Skaleneffekte erreicht sind, kann also auch die Förderung wieder auslaufen.


"Europa hat eine wahnsinnige Chance", sagt Enpal-Gründer Mario Kohle. "Die Solarenergie erlebt einen weltweiten Boom. Die USA haben das begriffen. Und mein Wunsch ist, dass auch die EU das begreift. "

Die USA haben vorgemacht, wie eine Regierung ihre heimische Solarindustrie unterstützen kann. Auch andere Länder betreiben bewusst eine solare Industriepolitik.


Europa darf nicht länger zaudern. Jetzt müssen wir vom Wollen zum Handeln kommen. Und zwar schnell.




Aktualisiert 18. August 2023. Auch veröffentlicht bei The Pioneer.


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