Deutschland steckt in der Krise. Die Überraschung hält sich in Grenzen: Die meisten Probleme konnte man schon vor Jahren kommen sehen. Die Wahrheit über die echten Probleme Deutschlands.
Geringe Investitionen
Deutschland investiert seit Jahrzehnten zu wenig. Bahn, Brücken, Bauten: Überall zerfällt die Infrastruktur.
Die Scholz-Regierung hob zuletzt die Investitionen zwar an. Aber das war zu wenig, um das Kaputtsparen unter Merkel auszugleichen. Und: Immer noch sind wir Schlusslicht bei den staatlichen Investitionen im EU-Vergleich.
Grafik: KfW
Grafik: EU Commission
Für Investitionen sollten wir uns auch verschulden. Die Schuldenbremse verhindert das - und das soll sie auch, denn sie soll die Politik zur Haushaltsdisziplin erziehen.
Ausgerechnet bei ihren stärksten Befürwortern scheint die Disziplin aber zu wünschen übrig: Für die eigenen Lieblingsprojekte finden die Parteien trotzdem auf magische Weise immer wieder neue Töpfe. So verbrannte die FDP im Jahr 2023 300 Millionen Euro Steuergeld für ein unsinniges Förderprogramm für Solares Laden, das als Geschenk für die wohlhabende FDP-Hausbesitzer-Klientel gedacht war. Christian Lindner gab das knappe Steuergeld sogar aus, um - ironischerweise - eine teure Anzeigenkampagne für die Schuldenbremse zu schalten. Dafür strich die FDP-Forschungsministerin die Forschungsgelder für Batteriezellen, ausgerechnet das, was Europa unabhängiger von China machen sollte. Es müssen also andere Regeln her, wenn die Schuldenbremse offenbar doch nicht so wirkt, wie sie soll.
Deutschland hat die geringste Schuldenquote unter den großen Industrieländern. Wir sind der Geisterfahrer bei der Finanzpolitik.
Ich bin ein glühender Anhänger von Schuldenregeln. Aber die Schuldenbremse in ihrer aktuell seit 2009 gültigen Form schadet mehr, als sie nützt. Sie muss dringend reformiert werden.
Quelle: Statistisches Bundesamt
China als Absatzmarkt bricht weg
Das Geschäftsmodell Deutschlands lautete lange - und bis heute: China ist ein gigantischer Absatzmarkt, und dort machen wir unser Geld. Mit unserer Industrie, mit unseren Autos. Doch dieser Absatzmarkt bricht nun weg: China produziert nun selbst und verdrängt ausländische Firmen nicht nur vom eigenen Heimatmarkt, sondern zunehmend auch von den Weltmärkten. Das wollten deutsche Industrieführer nicht kommen sehen.
Die deutsche Autoindustrie hat den weltweiten Siegeszug der Elektromobilität fundamental unterschätzt. Das Geschäft mit Verbrennern lief eben gut - und man investierte lieber in die Manipulation von Abgaswerten, um das eigene Geschäftsmodell zu konservieren, statt in Zukunftstechnologien.
Nicht nur das Elektroauto wurde zu lange verschleppt. Auch der Einstieg in die Digitalisierung scheiterte katastrophal. Mit seiner Software-Hoffnung CARIAD hat VW die letzten Digital-Ambitionen begraben.
Mit dem Angriff von Tesla und dem Wegbruch des Absatzmarkts in China durch den sagenhaften Aufstieg chinesischer Autokonzerne wie BYD können deutsche Autohersteller nicht mehr mithalten. Wie haben deutsche Auto-Bosse gelacht - erst über Tesla, dann über BYD. Nun rächt sich die Arroganz. Es muss jetzt schnell gehen, damit wir im Wettbewerb noch mithalten können.
Billiges russisches Gas bricht weg
Das Geschäftsmodell Deutschlands beruhte auf billigem Gas aus Russland. Viele Sicherheitsexperten warnten immer wieder vor Erpressbarkeit. Doch Schröder, Merkel und die deutsche Industrie steigerten unverdrossen die Abhängigkeit immer weiter. Nachdem der russische Diktator nach seinem zweiten Angriffskrieg gegen die Ukraine die Gaslieferung abschnürte, um den Westen zu erpressen, ist dieses alte Geschäftsmodell zu Ende. Es war eine Krise mit Ansage.
Die Großhandelspreise an der Börse sind seit der Gaskrise höher als zuvor. Zwar sind sie längst wieder unter den Rekordpreisen der Jahre 2022/23. Und: Der Staat senkte die Belastung mit Steuern und Abgaben, sodass Großkunden unterm Strich weniger bezahlen als vor der Gaskrise.
Grafik: BDEW
Im internationalen Vergleich bleiben die Energiepreise aber hoch. Das wäre isoliert betrachtet kein Problem. Aber wenn Fachkräfte fehlen, Investitionen fehlen, Absatzmärkte wegbrechen, die Bürokratie hoch ist, und dann auch noch die Energiepreise hoch sind - in dieser Kombination geht das schief.
Die Lösung ist der konsequente Ausbau erneuerbarer Energien. Je mehr günstiger Solar- und Windstrom im Netz ist, desto günstiger wird auch der Börsenpreis. Dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist voll zuzustimmen: “Notwendig ist ein schneller und kosteneffizienter Ausbau der erneuerbaren Energien sowie ihre Integration ins Energiesystem. Der aktuelle Ausbau verläuft schleppend und muss auf Zielkurs gebracht werden.”
Bürokratie
146 Milliarden an Wirtschaftsleistung entgehen uns durch Bürokratie, argumentiert das ifo-Institut. Und die Kosten steigen weiter - siehe Grafik unten. Unternehmen müssen mehr Leute anstellen, um mit der Bürokratie zurechtzukommen. Kein gutes Zeichen beim Fachkräftemangel.
Zwar sinkt der sogenannte Bürokratiekostenindex - ein erstaunlich wenig bekanntes Verdienst der Scholz-Regierung. Immerhin! Doch dieser Index bildet nur den klassischen Papierkram ab. Die umfassenderen Bürokratiekosten sind höher.
Ein populärer Irrtum ist allerdings, dass wir in Deutschland zu viele Staatsangestellte hätten. Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt: Wir sind in Deutschland sehr sparsam mit Stellen im öffentlichen Dienst. Das tatsächliche Problem ist, dass unsere Verwaltung kaum digitalisiert und in weiten Teilen nicht effizient organisiert ist. Daran scheitert die staatliche Verwaltung.
Grafik: ifo
Grafik: ifo
Arbeitskräftemangel
Der demografische Wandel schlägt voll zu. Deutschland hat eine der ältesten Bevölkerungen der Welt. Die Generation der Babyboomer tritt seit einigen Jahren in den Ruhestand ein.
Die Folge: Deutschland hat immer weniger Arbeitskräftepotenzial. Es geht nicht mehr nur um speziell ausgebildete Fachkräfte, sondern es mangelt an allen Orten und Qualifikationsniveaus.
Die Steigerung der Frauenerwerbsquote ist inzwischen nahezu ausgereizt. Das Renteneintrittsalter steigt ebenfalls an. Die Zuwanderung müsste sogar noch weiter erhöht werden als jetzt, um die Arbeitskräftelücke zu schließen, aber stößt an die Grenzen des Gewollten und des Organisierbaren.
Grafik: Quelle
Ineffizienter Sozialstaat
Unser Sozialstaat leidet an Komplexität und Ineffizienz. Beispiel: Für die Familienpolitik gibt der Staat rund 200 Milliarden Euro an Förderungen und Steuererleichterungen aus - und zwar für 150 unterschiedliche Leistungen. Keine Familie hat da noch den Überblick. Das Gros der Ausgaben entfällt immerhin auf nur 13 Leistungen. Dummerweise widersprechen sich diese Leistungen aber: So soll die Förderung der Kinderbetreuung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und damit Erwerbsbeteiligung erhöhen. Das Ehegattensplitting gibt dagegen einen Anreiz, keine Erwerbsarbeit zu tätigen. Bisher traute sich niemand, die Widersprüche aufzuräumen.
Aus dem Bundeshaushalt fließen jährlich über 116 Milliarden in die Rente. Jeder vierte Steuer-Euro geht an die Rente! Wohlgemerkt: Das ist nur der Zuschuss, für ein System, das eigentlich umlagefinanziert sein sollte, also auf Beiträgen beruht. Eine Reform der Rentenversicherung ist daher lange überfällig, genauso für die Beamtenpensionen.
Der Sozialstaat muss effizienter werden, sonst wird er träge, ungerecht und unfinanzierbar.
Grafik: Quelle
Aber es stimmt auch: Es ist noch nicht zu spät
Die britische Zeitung The Economist rechnet gnadenlos mit “16 Jahren des Durchwurstelns ohne Reformen” ab: “Frau Merkel hat Deutschland wie in einer Scheinwelt geführt und es in ein langes geopolitisches und wirtschaftliches Nickerchen versetzt, aus dem es erst wieder erwachen muss.”
Wir müssen zwei Jahrzehnte des Nichtstuns aufholen. Aber das geht: mit einer Überarbeitung der Schuldenregeln, deutlich mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung, der Modernisierung und Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, dem massiven Abbau von Bürokratie, einer konsequenzen Energie- und Industriepolitik, und einem effizienten und gerechten Sozialstaat.
Deutschland hat immer noch viel Potenzial. Wir können, wenn wir wollen. Noch ist es nicht zu spät. Let’s go.
Kommentare