Die Energiefalle, die Europa verwundbar macht: Öl und Gas
- Wolfgang Gründinger

- vor 3 Tagen
- 4 Min. Lesezeit

Vom Finanzinvestor zum Staatsfeind – und schließlich zum Ritter: Sir Bill Browder war erfolgreicher Investor in Russland. Das endete jäh, als er begann, massive Korruption aufzudecken. Putin ließ ihn des Landes verweisen, sein Anwalt kam in russischer Haft ums Leben. Nun erteilte König Charles ihm den Ritterschlag.
Wenn es jemanden gibt, der Russland genau kennt, dann Sir Bill Browder.
Und so wollte der bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz der Moderator von Browder wissen: Warum wirken die Sanktionen gegen Russland nicht so, wie sie sollen? Seine bestechend einfache Antwort: “One word: Oil.”
Öl und Gas schmieren die russische Wirtschaft. Sie sind die wichtigsten Exportgüter Russlands – und die wichtigste Einnahmequelle. Deswegen sanktionierte der Westen russisches Öl mit einem Preisdeckel. Mit Frachtern, die Öl für höhere Preise transportieren, dürfen westliche Versicherer, Reedereien und Banken nicht zusammenarbeiten. Die Sanktionen bremsten den Ölexport – und schlug Löcher in die Kriegskasse des Kremls.
Zugleich umging Russland die westlichen Sanktionen, indem es eine so genannte Schattenflotte alter Öltanker aufbaute. 400 Schiffe sollen es insgesamt sein, rostig und unversichert, offiziell fahren sie unter den Flaggen von Liberia, Malta oder den Marshall-Inseln.
Mit dieser Schattenflotte beliefert der Kreml die Länder, denen die Sanktionen egal sind, mit Öl: etwa China, Indien, die Türkei. Diese Länder verkaufen das Öl gern weiter - auch an die EU. So landet am Ende doch wieder russisches Öl in deutschen Tanks. Das Öl-Geld hält die russische Wirtschaft – und den blutigen Krieg – am Laufen.
Erst drei Jahre nach Beginn des russischen Überfalls rang sich die EU dazu durch, die Schattenflotte mit neuen Sanktionspaketen zu belegen. Mit Wirkung: Moskau verlor so Milliarden, die nicht mehr in den Krieg fließen können.
Doch Europa hängt trotz allem noch an der Nadel russischer Importe. 21,9 Milliarden Euro gaben die EU-Länder selbst im Jahr 2024 für russisches Öl und Gas aus – das ist mehr, als die EU der Ukraine an Finanzhilfen gewährte. Erst 2028 wil die EU die Einfuhr von Öl und Gas aus Russland komplett stoppen.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat ausgerechnet: Jeder Euro, den europäische Staaten weniger für Öl ausgeben, schwächt Russlands Staatshaushalt und senkt indirekt den militärischen Druck auf die EU. Das ergibt eine sicherheitspolitische Dividende von 37 Cent pro eingespartem Öl-Euro – also ein geopolitischer Gewinn ohne zusätzliche Verteidigungsausgaben. Würde die EU ganz auf Öl verzichten, läge dieser Gewinn bei 104 Milliarden Euro jährlich – mehr als das deutsche Sondervermögen für die Bundeswehr im Jahr 2023.
One more word: Gas
Putin machte Deutschland mit billigem Pipeline-Gas erpressbar. Durch den billigen Preis kamen wir nicht auf die Idee, Flüssiggas (im Englischen: Liquified Natural Gas, kurz LNG) zu importieren oder auf andere Lieferanten zu setzen. Im Nachhinein mussten wir bitter eingestehen: Putin hat sein Ziel erreicht. Als der Kreml die Gaslieferungen nach Deutschland im Sommer 2022 vollständig stoppte – fadenscheinig wegen “technischer Probleme” – stürzte dies Deutschland in eine schwere Rezession mit dreistelligen Milliardenschäden und gesellschaftlichen Verwerfungen, an denen wir noch lange leiden werden.
Heute liefert Norwegen fast die Hälfte des gesamten deutschen Gases. Norwegen ist ein vertrauenswürdiger Partner. Doch: Was ist, wenn ein feindseliger Akteur die Pipelines sabotiert? Längst meldet die Bundeswehr "auffällige Fahrmanöver russisch kontrollierter Schiffe über kritischer Infrastruktur”, eine “zunehmende Anzahl sogenannter Ankerverluste” und “Anbahnungsversuche” bei Soldaten, wie die ZEIT berichtet.
Ein Drittel des gesamten deutschen Gasverbrauchs fließt allein in das Heizen von Gewerbe und Privathaushalten. Wie werden sie im Winter ihre Wohnung warmhalten, wenn die Gaszufuhr plötzlich gekappt wird?
Jedes Jahr muss Deutschland fossile Brennstoffe im Wert von über 80 Milliarden Euro importieren – so viel wie 2,5% des BIP. Das Geld fließt auch an autokratische Regimes wie Aserbaidschan und Qatar. Mit jeder geopolitischen Krise steigen diese Kosten unkontrollierbar. Wie lange wollen wir uns das als Volkswirtschaft noch leisten?
40% der Seefracht sind fossile Brennstoffe
Die Importabhängigkeit von fossilen Rohstoffen wird immer noch dramatisch unterschätzt. Die gesamte Seefracht der Welt besteht zu nahezu 40% aus fossilen Brennstoffen, so die Zahlen der UN-Handels- und Entwicklungsorganisation UNCTAD. 13.000 Frachter sind mit Öl beladen, 3.000 mit Flüssiggasen, und 2.500 mit Kohle.
Diese Zahlen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Nahezu die Hälfte dessen, was wir als Menschheit über die Weltmeere transportieren, sind fossile Brennstoffe – Öl, Gas und Kohle. Nicht Nahrungsmittel, nicht Autos, nicht einmal industrielle Rohstoffe wie Stahl oder Aluminium. Fossile Brennstoffe werden direkt verbrannt. Der Nachschub darf niemals versiegen – sonst steht alles still.
Wer die Importabhängigkeit reduziert, verringert auch die Verletzlichkeit globaler Handelsrouten. Das ist der wirksamste Hebel für mehr geopolitische Resilienz.
Fossile Energie ist ein Risiko für die nationale Sicherheit. Aus dieser Abhängigkeit müssen wir uns schnell befreien. Wir brauchen eine krisenfeste, dezentrale Energiestrategie.
Krisenfeste Energiestrategie
Erneuerbare Energien sind daher nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern auch ein geostrategisches Gebot für unsere Energiesouveränität. Einmal installiert, produzieren Solaranlagen und Windräder jahrzehntelang heimische, günstige, sichere Energie – ohne Importe, ohne Brennstoffkosten, ohne Abhängigkeiten.
Dabei tritt die Energiewende gerade in eine neue Phase ein: Künftig geht es nicht mehr nur um den Ausbau von Kapazitäten, sondern um ihre kluge Integration ins Stromsystem.
Mit intelligenter Vernetzung können wir dafür sorgen, dass Millionen dezentrale Speicher endlich netzdienlich funktionieren: also genau dann geladen werden, wenn Stromüberschuss herrscht. Und genau dann Strom ins Netz einspeisen, wenn er benötigt wird. Ein virtuelles Kraftwerk also, das dazu dient, das Auf und Ab von Sonne und Wind zu glätten. Und so den Strom für alle günstiger macht.
Das ist ein Paradigmenwechsel. Jahrzehntelang folgte das Stromsystem dem Verbrauch. Künftig können Industrie und Haushalte – unterstützt durch digitale Preissignale und flexible Technologien – Strom genau dann nutzen, wenn er reichlich und günstig verfügbar ist. Diese Strategie entlastet die Netze und senkt die Kosten. Speicher funktionieren wie eine Art Zeitmaschine: Sie machen Sonne und Wind verlässlich.
Wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen, kann Deutschland zur Leitnation für resiliente, digitale und unabhängige Energieversorgung werden. Längst geht es also nicht mehr nur um Klimaschutz, sondern um Standortschutz. Energetische Unabhängigkeit ist heute genauso wichtig wie militärische Verteidigungsfähigkeit. Ohne bezahlbare, krisensichere Energie gibt es keine Sicherheit, und keinen Wohlstand.










Kommentare