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  • AutorenbildWolfgang Gründinger

Wer zahlt für die Krise? Plädoyer für eine echte Erbschaftssteuer

Aktualisiert: 12. Mai 2021


Die Reichen profitierten von der Pandemie: sie wurden noch reicher. Die Armen dagegen mussten Verluste verkraften - wieder einmal. Es ist dringend Zeit, dass nicht mehr die Gnade der Geburt über Lebenschancen entscheidet. Wir müssen große Erbschaften endlich besteuern, damit sich Leistung endlich wieder lohnt.


Die Pandemie machte die Reichen noch reicher: Die Zahl der Superreichen in Deutschland wuchs, ebenso ihr Vermögen. Während sich die Vermögenden in ihre Altbauwohnungen, Landhäuser und Feriendomizile zurückzogen, verloren die Armen ihre Jobs und wurden in ihren kleinen Wohnungen eingequetscht. Die Kinder der Reichen bekamen Homeschooling, die Kinder der Armen bekamen nichts.


Es wäre nur fair, wenn diejenigen die Kosten der Krise bezahlen, die von ihr profitieren.

Das ginge mit einer Vermögensteuer, die zwar im Grundgesetz vorgesehen ist, aber seit 1996 nicht mehr erhoben wird. Noch besser aber wäre eine Erbschaftsteuer, die diesen Namen verdient.


Endlich wieder soziale Marktwirtschaft

In einer Marktwirtschaft gibt es mehrere Prinzipien. Eines davon lautet Leistungsgerechtigkeit. Leistung muss sich lohnen: Von nix kommt nix, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Wer arbeitet, wer mit seiner Hände und seinem Hirn Werte schafft, der soll belohnt werden. Alle anderen nicht.

Ein zweites Prinzip lautet Chancengleichheit. Alle sollen die gleichen Chancen haben, egal, wo sie herkommen oder von wem sie abstammen. Sonst wäre das keine Marktwirtschaft, sondern eine Feudalgesellschaft.

Jedes Jahr werden 400 Milliarden Euro vererbt, schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Von diesem Kuchen bekommen aber nur die etwas ab, die ohnehin schon viel haben. Die Kinder aus der Mittel- und Oberschicht brauchen keinen Finger rühren und sind schon wohlhabend. Die Kinder armer Eltern können dagegen so hart arbeiten, wie sie wollen, und können es doch selten überhaupt zu einem Vermögen schaffen. Mehr als die Hälfte des gesamten privaten Vermögens in Deutschland heute wurde nicht erarbeitet, sondern ererbt - allein durch die Gnade der Geburt.

Mit Marktwirtschaft hat das nicht mehr viel gemein, mit einer sozialen erst recht nicht. Es ist der Weg zurück in die Feudalgesellschaft.


Leistung muss sich wieder lohnen. Daher brauchen wir eine höhere Erbschaftsteuer.

Die Erbschaftsteuer belastet leistungslose Einkommen, stärkt den Leistungsgedanken und sorgt zumindest für etwas mehr Chancengleichheit.

Die Erbschaftsteuer ist heute erstaunlich mickrig: Im Jahr 2019 generierte sie lediglich 7,2 Milliarden Euro Steueraufkommen. Bei einer geschätzten Erbmasse von 400 Milliarden entspricht das einem effektivem Steuersatz von nicht einmal 2%.

Das hat Gründe: Erbschaften bis 400.000 Euro sind steuerfrei - und zwar pro Kind und pro Elternteil. Steuerfrei ist zusätzlich die selbstgenutzte Immobilie, unabhängig von deren Wert, plus ein Freibetrag für Hausrat von 41.000 Euro. Da auch Schenkungen vor dem Tod wie Erbschaften behandelt werden, und der Freibetrag alle zehn Jahre wiederholt werden darf, können Eltern so an jedes ihrer Kinder alle zehn Jahre ein Vermögen von 800.000 Euro übertragen - zu einem Steuersatz von 0%.

Im krassen Kontrast dazu belastet die Einkommensteuer den Arbeitslohn von 14% bis 42%. Die Botschaft des Staates ist klar: Arbeit wird bestraft, Erben wird belohnt. Strengt euch bloß nicht zu viel an, sondern sucht euch lieber die richtigen Eltern aus. Und wenn das nicht geklappt hat, dann heiratet reich.


Von wegen Neid: Eine Steuer wie alle anderen auch


Schon das macht klar, dass die Erbschaftsteuer keine “Neidsteuer” ist. Erbschaften sind auch nur ein Einkommen, das ebenso besteuert werden sollte wie andere Einkommen auch. Es gibt kein Geburtsrecht auf leistungsloses Einkommen, und erst recht nicht darauf, dass ausgerechnet dieses Einkommen von der Steuer befreit wird. Von Neid kann hier keine Rede sein, sondern eher vom Geiz der Erben, die sich offenbar eine Sonderbehandlung wünschen.


Zumal es in Deutschland bereits eine faktische Erbschaftsteuer von 100% gibt - aber dies gilt nur für eine spezielle Gruppe: für die Armen. Denn: Wenn jemand Sozialhilfe bezieht und etwas erbt, dann zieht der Staat 100% des Erbes ein. Armen wird das Erbe sofort weggenommen. Die Reichen dürfen das Erbe behalten. Gerechtigkeit, anyone!?

Unser Grundgesetz unterwirft das Eigentum dem Gemeinwohl und definiert Deutschland als Sozialstaat. Entsprechend dient das Steuersystem in einer sozialen Marktwirtschaft dazu, alle Bürger gemäß ihrer Leistungsfähigkeit an der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben zu beteiligen und soziale Ungleichheit zu mildern. Die Erbschaftsteuer erfüllt genau diesen Zweck.



Es wird nichts "doppelt" besteuert, sondern allenfalls halbiert


Die Erbschaftsteuer besteuert auch nicht bereits versteuertes Einkommen “doppelt”, wie manchmal behauptet wird. Der Erbe bekommt ein außerordentliches Einkommen, und darauf muss er eben Einkommensteuer in Form der Erbschaftsteuer bezahlen - wie überall sonst auch. Auf dieses Einkommen hat der Erbe noch nie auch nur einen Cent Steuer bezahlt. Im Vergleich zur weit höheren Einkommensteuer ist die Erbschaftsteuer allenfalls eine halbierte Besteuerung, keineswegs eine doppelte.


Im Übrigen dürfte es dann auch keine Verbrauchsteuern geben wie Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer oder Tabaksteuer, wenn “Doppelbesteuerung” verboten wäre. Denn wenn ich mit meinem Gehalt (das bereits versteuert ist) eine Packung Schokolade kaufe, zahle ich nochmals Steuern (Mehrwertsteuer). Jeder, der einkauft, wird damit „doppelt“ besteuert. Wer erbt, wird von Steuern dagegen weitgehend verschont. Das passt logisch nicht zusammen.



Familienunternehmen gehen nicht unter


Ein Grund gegen die Erbschaftsteuer könnte sein, dass sie ja auch Familienbetriebe belastet, die im Privatbesitz sind und dann an die Kinder übergeben werden. Momentan ist Betriebsvermögen daher weitgehend und nach komplizierten Regelungen von der Steuer ausgenommen. Aber der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums sieht das anders, und hier lohnt sich ein längeres Zitat:


„Die weitreichenden Vergünstigungen beim Unternehmensvermögen sind im Hinblick auf die Beschäftigungseffekte der Erbschaftsteuer nicht zu rechtfertigen. Eine gravierende Bedrohung der Existenz von Unternehmen und Arbeitsplätzen durch die Erbschaftsteuer in der Vergangenheit wird empirisch nicht bestätigt. [Es] ergeben sich wenige Hinweise darauf, dass eine Verschonung von Betriebsvermögen geboten ist, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden.“

„Anstatt Arbeitsplätze zu erhalten, kann die praktizierte Begünstigung sogar Arbeitsplatzverluste mit sich bringen, weil die Frage der Eigentümerstruktur von Steuererwägungen mitbestimmt wird und die Rolle von Kompetenzen und komparativen Vorteilen in den Hintergrund rückt. [...] Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass Verschonungsregelungen, die an der Weiterführung des Betriebs anknüpfen, sogar eher zu weniger als zu mehr Arbeitsplätzen führen.“


Eine höhere Erbschaftsteuer, verbunden mit Stundungsregelungen, gefährdet demnach keinesfalls Arbeitsplätze oder Wirtschaftskraft. Und so sehen es auch andere Wissenschaftler. Der Gegenbeweis ist indes nicht gelungen: Fünfzehn große Wirtschaftsverbände und Handwerkskammern, einschließlich des Verbands der Familienunternehmer, konnten auf Anfrage kein einziges Beispiel nennen, welches Unternehmen durch die bisherige Erbschaftsteuer in Existenznot geraten wäre.



Ein Generationen-Soli

Alle Experten sind für eine höhere Erbschaftsteuer: die OECD (siehe auch diesen Report), der IWF, der Wirtschaftssachverständigenrat (“Wirtschaftsweise”), der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, um nur einige zu nennen.

Eine Erbschaftsteuer von 100% wäre an sich angemessen, um Leistungsprinzip und Chancengleichheit durchzusetzen, aber ist nicht praktikabel. Ich stelle mir stattdessen vor, die Ausnahmeregelungen und Sonderfreibeträge weitgehend abzuschaffen, die 10-Jahres-Frist zu streichen, und einen Steuersatz für alle Vermögen oberhalb eines bestimmten Freibetrags auf 10% bis 20% zu erheben. Das wäre immerhin ein kleiner Schritt in Richtung Gerechtigkeit und Leistungsprinzip.

Die Einnahmen sollten in Kinderbetreuung und Bildung fließen - damit endlich auch die Kinder eine Chance haben, die aus armen Elternhäusern kommen. Denn ihre Lebenschancen wurden während der Pandemie noch schlechter als zuvor.

Ein Generationen-Soli in Form einer höheren Steuer auf große Erbschaften hätte mehrere Vorteile: Sie würde nur diejenigen betreffen, die es sich leisten können, weil man durch großzügige Freibeträge das Eigenheim oder die mühsam zusammengehaltenen Ersparnisse recht gut schützen kann. Zugleich würde sie zumindest einen kleinen Schritt mehr Chancengleichheit schaffen. Denn schließlich haben die Erben nicht gearbeitet und verdanken den Reichtum nur der Gnade ihrer Geburt. Die Gesellschaft kann das Geld gut gebrauchen: für erstklassige Schulen und Kinderbetreuung. Diese Investition in die junge Generation lohnt sich – für alle.


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