Vier Jahre rechtsradikale Propaganda mit bizarren Lügen, Spaltung der Welt in Gut und Böse, und Missachtung der Demokratie ebneten Trump den Weg nach oben, anstatt ihn als korrupten und rassistischen Oligarchen sofort aus dem Rennen zu werfen. Nur ein paar Stimmen entschieden letztlich, dass es nun (hoffentlich) doch zu einem Machtwechsel kommt.
Wie konnte das passieren? Für viele ist die Antwort klar: Social Media müssen schuld sein! Warum sonst sollten Menschen schließlich diesen Typen wählen, wenn nicht perfide manipuliert durch unsichtbare Algorithmen?
In der Tat reagierten die digitalen Plattformen viel zu spät, viel zu zögerlich, als schon längst klar war, dass Demokratiefeinde sie als Organisationsraum und Propagandamaschine missbrauchten. Aber sind Twitter & Facebook die Steigbügelhalter für Trumps Weg zur Macht? Ich denke: Nein. Wer so denkt, der reduziert die Bedrohung auf ein rein technisches Problem, dass nur durch etwas mehr Technikregulierung (oder die wirklichkeitsfremde Abschaffung digitaler Kommunikation) wieder in den Griff zu bekommen wäre, und lenkt ab von viel fundamentaleren Fragen einer deliberativen Demokratie.
Auch Cambridge Analytica waren nur Großmäuler
Schon für Trumps vermeintlich überraschenden Wahlsieg 2016 hatten viele Facebook und Twitter verantwortlich gemacht. Doch die Evidenz, dass dem wirklich so war, ist eher dürftig. Zwar hatte die zwielichtige Firma Cambridge Analytica großspurig behauptet, mithilfe erschlichener Facebook-Profildaten unterschiedliche Zielgruppen mit maßgeschneiderten Werbebotschaften anzusprechen (Microtargeting), die nur für die jeweilige Gruppe und nicht für andere zu sehen waren (so genannte Dark Ads, die inzwischen nicht mehr möglich sind).
Aber schon damals waren die Zweifel groß (siehe hier, hier, hier, und hier), ob Werbeanzeigen wirklich Millionen Menschen einfach so in eine Wahlentscheidung hineinmanipulieren könnten. Nach einer drei Jahre dauernden Untersuchung fanden die britischen Datenschutzbehörden schließlich auch keine Belege für den Erfolg des Datenmissbrauchs.
Cambridge Analytica waren erfolgreiche Marktschreier, aber missglückte Manipulatoren.
Ganz im Gegenteil: Trump-Sympathisanten nutzten kaum soziale Medien und informierten sich vornehmlich über den mächtigen konservativen TV-Sender Fox News – für 40% der Trump-Anhänger die Hauptquelle der Information. Das ist ein gut belegter Mechanismus: Nach jedem neuen Markteintritt von Fox News in einem US-Bundesstaat stieg der Anteil der Wahlstimmen für die Republikaner signifikant an. Die kritische Rolle von Fox News als Wegbereiter für den Kampf gegen das „Establishment“ geht aber leider unter, weil wir uns von der Debatte um soziale Medien allzu gern ablenken lassen.
Aber gibt es nicht die Filterblase, bei der wir nur noch online angezeigt bekommen, was uns in unserer Meinung bestärkt? Nein, diese These ist zwar beliebt, aber dürftig belegt. In den USA korreliert eine höhere Nutzung sozialer Medien sogar mit geringerer politischer Polarisierung! Junge Menschen favorisierten überdeutlich Biden, die Alten präferierten dagegen Trump. Wären Social Media so manipulativ und spaltend, dann wäre es genau andersherum.
Wir sind Teil des Problems
Auf sozialen Medien werden den Nutzern häufiger Posts angezeigt, die gut „performen“, also viel „Engagement“ erzeugen – und das ist häufig eine abweichende Meinung. Ich habe Trump beispielsweise auf Twitter nicht abonniert. Dennoch bekomme ich regelmäßig seine Tweets in meine Timeline gespült, weil es genügend Nutzer gibt, die ihn kommentieren und damit auch seine Botschaft weitertragen. Denn auf diesem Weg verbreiten sich Falschnachrichten und Gerüchte in sozialen Medien schneller als tatsächliche Nachrichten.
Genau hier liegt die Schwierigkeit: Wir alle verbreiten Falschbehauptungen weiter. Selbst wenn wir uns nicht mit ihnen gemein machen, sondern darüber berichten, wird die Falschbehauptung mittransportiert und bleibt in den Köpfen hängen.
Falschnachrichten entfalten nur dann ihre Wirkung, wenn sich auch klassische Medien an deren Verbreitung beteiligen – so eine Studie zur deutschen Bundestagswahl 2017. Erst die Zeitungen (inklusive deren Online-Ausgaben) und das Fernsehen machen Falschnachrichten hoffähig und bringen sie in den Mainstream. Wenn Fernsehsender die Erklärung von Trump senden, transportieren sie seine Botschaft. Wenn der SPIEGEL ein Trump-Zitat kommentarlos zur Überschrift macht, ist das Teil des Problems. Wenn klassische Medien über Trump berichten, als handele es sich um seriöse Politik, dann befördern sie nur seine Agenda. Der Journalismus kam lange Zeit (und teils bis heute) einfach nicht klar mit der bizarren Abstrusität der Trumpschen Irrlichterei. Trump hackt ganz bewusst die Grundsätze journalistischer Distanz und Ausgewogenheit. Social Media wirken da nur als Brandbeschleuniger, nicht als Ursache.
Kampf den Demokratiefeinden
Vier Jahre kleptokratisches Chaos, hemmungslosen Lügen, offene Sympathie für extremistische Gewalt, und unfähiges Krisenmanagement – und trotzdem steht fast die Hälfte der Nation hinter Trump. Das kann man nicht erklären durch vermeintliche Manipulation durch Social Media. Das kann man nur erklären, indem man anerkennt: Es gibt sehr viele Menschen, die genau das gut finden. In den USA, aber auch in Deutschland. Die sogenannte Mitte-Studie zeigt hierzulande erschreckend regelmäßig, wie viele Menschen tatsächlich einer antidemokratischen, fremdenfeindlichen, chauvinistischen und nationalistischen Gesinnung nachhängen. Und im Jahre 2006, als die Studie begann, war das Internet nur embryonal entwickelt. Damals musste man noch einen anderen Sündenbock suchen, sofern man die Ergebnisse nicht einfach abstritt oder teilnahmslos ignorierte.
Die Feinde der Freiheit verwenden ebenjene Freiheit dazu, diese abzuschaffen. Die Demokratiefeinde suchten sich nur einen Weg, um sich zu organisieren, und eine Leitfigur, der sie zusammenbringt. Mit Trump haben sie diese Leitfigur gefunden. Sie wählten ihn, weil sie gut fanden, was er sagt und tat, und obwohl sie wussten oder leicht hätten wissen können, dass er ein Lügner und Autokrat ist.
Ja, wir müssen auch die digitalen Plattformen klüger regulieren und sie gegen Extremist:innen abschirmen. Natürlich brauchen wir Medien- und Demokratiebildung, damit sich Menschen besser schützen können vor Propaganda und Rattenfängerei. Aber es gehört mehr dazu.
Die USA müssen versuchen, ihr unfaires Wahlsystem zu reformieren, bei dem demokratische Kandidat:innen regelmäßig Millionen mehr Stimmen erhalten als ihre republikanischen Kontrahenten, aber dennoch letztere gewinnen, weil die Stimmen nach Staaten gewichtet werden. Biden hatte mehr Stimmen als alle andere Kandidaten vor ihm, und dennoch war sein Weg ins Weiße Haus eine Zitterpartie.
Die schwierigste Aufgabe aber bleibt: Wir müssen den Feinden der Freiheit den Kampf ansagen. Das ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die uns alle zum Handeln zwingt, und leider ist sie genau deshalb so schwer. Wir dürfen wir nicht mehr wegschauen, nicht mehr kleinreden, nicht mehr relativieren. Keine Ausreden mehr, und keine Beschwichtigungen. Nicht in den sozialen Medien – und auch nicht anderswo.
Dieser Beitrag erschien gekürzt am 4. Dezember 2020 im Capital-Magazin.
Comentarios