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AutorenbildWolfgang Gründinger

Betreute Demokratie: Brauchen wir einen Klima-Bürgerrat?

Aktualisiert: 13. Apr. 2021



Es ist ein spannendes Experiment: Ende April 2021 tritt der erste “Bürgerrat Klima” zusammen. 160 zufällig ausgeloste Deutsche sollen die Bevölkerung möglichst repräsentativ abbilden, allesamt keine Politik-Profis. Rechtzeitig zur Bundestagswahl sollen sie Vorschläge für Klimaschutz erarbeiten, die dann wirklich bürgernah und zukunftsweisend sein sollen. Kann das klappen?


Das Vertrauen in die Demokratie bröckelt. Viele haben den Eindruck: “Die da oben” machten, was sie wollen, die Politik habe sich von den Bürgerinnen und Bürgern entfernt. Die Korruptionsskandale der Union machen den Ruf der Politik noch schlechter. Und derweil bleiben die drückendsten Zukunftsprobleme ungelöst. Bürgerräte sollen diese Vertrauenskrise flicken helfen. Und so nun auch der erste "Bürgerrat Klima".


Unterstützung gibt es zuhauf: Die Scientists For Future (deren Beirat ich angehöre) haben sich dafür ausgesprochen. Eine Petition beim Deutschen Bundestag erreichte fast 70.000 Unterschriften (einschließlich meiner) und hat damit das Quorum von 50.000 Stimmen erreicht, ab dem sich der Bundestag damit befassen muss. Altbundespräsident Horst Köhler unterstützt die Idee, genauso wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.


Ich bin sehr gespannt auf den Ausgang dieses Experiments. Aber ein paar Bedenken habe ich doch. Meine drei Kritikpunkte:


1. Der Bürgerrat privilegiert die Mittelschicht


Wer sich ehrenamtlich über Monate hinweg in seiner Freizeit engagieren soll, der braucht die nötige Zeit und Redegewandtheit. Arme Menschen melden sich deutlich seltener zurück, wenn sie als Teilnehmer ausgelost werden, brechen ihre Teilnahme eher ab, und können sich schlechter Gehör verschaffen, weil sie weniger souverän auftreten und viele bildungssprachliche oder fachliche Begriffe nicht kennen.


Wenn die Sitzungen in Zeiten von Corona rein virtuell stattfinden, dann brauchen die Teilnehmer digitale Arbeitsgeräte und das Wissen, wie sie souverän in Videokonferenzen auftreten. Das verschärft die Beteiligungslücke mitunter noch.


Beim ersten bundesweiten Bürgerrat zu “Deutschlands Rolle in der Welt”, einberufen vom Deutschen Bundestag selbst, hatten nur knapp 11% maximal einen Hauptschulabschluss. Um die deutsche Bevölkerung wirklich abzubilden, müssten es aber über 34% sein. Dafür waren Menschen mit Abitur und Studium deutlich überrepräsentiert. Welche Gesellschaft soll das abbilden?


Zwar ist die Lücke unter den Abgeordneten des Bundestags noch tiefer: Dort sind nur 1,3% Hauptschüler. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Die Abgeordneten sind demokratisch gewählt, und die Abgabe der Wahlstimme ist die egalitärste Form der Beteiligung, die es gibt: Sie ist sozial inklusiver als Petitionen, Produktboykotte, Politiker kontaktieren, politische Abzeichen tragen, demonstrieren oder Parteimitgliedschaft. Der Bundestag soll die Bevölkerung auch gar nicht 1:1 abbilden, sondern seine Abgeordneten sind “Vertreter des gesamten deutschen Volkes” - so sieht es das Grundgesetz. Der Bürgerrat hingegen rechtfertigt sich im Gegensatz dazu dadurch, die Bevölkerung 1:1 abbilden zu wollen, ist davon aber weit entfernt.


2. Die Verfahren bestimmen das Ergebnis


160 Teilnehmer können nicht den ganzen Tag im Plenum diskutieren, sonst reden sie endlos und bringen nie einen Beschluss zustande. Daher gibt es auch im Bürgerrat mehrere Arbeitsgruppen, professionelle Moderator:innen und geladene externe Expert:innen.


Wer aber wählt aus, welche Arbeitsgruppen es gibt, wer moderieren und wer beraten soll? Stehen die Themen, Moderator:innen und Expert:innen schon vor Beginn fest, werden also z.B. durch die Organisatoren ausgewählt, dann beeinflusst allein diese Auswahl bereits das Ergebnis.


Die ZEIT schreibt, wie das beim Bürgerrat “Deutschlands Rolle in der Welt” konkret aussah, und es lohnt sich, diese Eindrücke auf sich wirken zu lassen:


“Moderatorinnen und Experten haben große Macht im Bürgerrat, auch wenn sie eigentlich nur Dienstleister der Bürgerinnen und Bürger sein wollen. ... Auch die Expertinnen und Experten sind abgestimmt, ... fast alles Menschen, deren Positionen auch sonst Gehör finden. Je fremder und komplexer das Thema für die Bürgerräte ist (Dublin-Verordnung! Lieferkettengesetz!), desto stärker prägen die Experten die Meinungsbildung. … Deshalb reden die geladenen Expertinnen und Experten im Bürgerrat fast so viel wie die Teilnehmer und noch mehr als die Moderatoren, die aber auch schon viel reden. ... Die Moderatoren wiederum lenken den Prozess. Sie entscheiden, an welches Post-it in den Diskussionen ... herangezoomt wird, sie geben der einen Frage mehr Raum und würgen andere Debatten ab, wenn die Zeit drängt oder sie ihnen unnötig erscheint. Das ist einerseits ihr Handwerk, aber andererseits ergibt sich so doch nie die Situation, dass wirklich die Bürgerinnen und Bürger bestimmen, worüber wie geredet wird.”


Wenn Moderator:innen und Expert:innen schon so viel reden - warum braucht es dann überhaupt noch die Bürger:innen?


3. Der Bürgerrat liefert Ergebnisse, die kaum einen interessieren


Der Bürgerrat hat nur dann echte Wirkung, wenn seine Vorschläge auch gehört werden. Aber wer interessiert sich dafür, außer für eine Pressemitteilung? Wie bei vielen anderen Beteiligungsformaten auch drohen die Ergebnisse im Sand zu verlaufen.


Was ist beispielsweise mit der Forderung des Bürgerrats “Deutschlands Rolle in der Welt” passiert, ein Nachhaltigkeitsministerium zu gründen, das die “Kontrolle und Überwachung über andere Ministerien innehat”? Die Idee wird vermutlich beerdigt werden, so wie viele andere auch.


Probieren geht über Studieren


Trotz meiner Kritik: Ich bin gespannt auf den Bürgerrat Klima. Er ist zwar weder Patentrezept noch Allheilmittel, und das sollte man auch nicht erwarten. Aber er kann sich einreihen in die Vielfalt des Meinungsstreits, mit Petitionen, Demos, Kampagnen und allem, was zu einer lebendigen Demokratie dazugehört.


Im Ausland zeichneten ähnliche Experimente bereits Erfolg: In Irland ebnete ein Bürgerrat den Weg zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen, in Frankreich brachte ein Bürgerrat die Nationalversammlung dazu, Klimaschutz in der Verfassung zu verankern.


Einen Bürgerrat haben wir übrigens schon seit über 70 Jahren: den Deutschen Bundestag.



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